Dieser Artikel ist als Original im LFI Magazin 6/2015 erschienen. Text und Fotos von Holger Sparr.

Bisher stand die eigentliche Standardbrennweite unter den Weitwinkeln als Summilux-Variante noch aus. Nun hat Leica die Reihe seiner extrem lichtstarken Weitwinkelobjektive mit dem Summilux-M 1:1.4/28 mm Asph komplettiert.

Über eine mangelnde Auswahl an Objektiven können sich M-Fotografen eigentlich kaum beklagen, denn im Laufe der Jahrzehnte hat sich das Angebot längst auch in vermeintlich kleine Nischen ausgedehnt. Besonders für ihre lichtstarken und gleichzeitig sehr kompakten Weitwinkelobjektive ist die M bekannt und begehrt. Umso erstaunlicher, dass es bislang ausgerechnet das 28er, die eigentliche Standardbrennweite unter den Weitwinkeln, nicht als Summilux mit einer Anfangsöffnung von 1:1.4 gab. Denn das mittlerweile mehrfach erneuerte Summilux 1:1.4/35 mm gibt es bereits seit mehr als 50 Jahren, und 2008 überraschte Leica die Gemeinde mit den gemeinsam entwickelten Summilux- M-21- und 24-0bjektiven, die extreme Lichtstärken in den Bereich der Superweitwinkel brachten. Fehlte also noch das 28er, um die Reihen zu schließen. Mittlerweile sind die ersten Summilux-M 1:1.4/28 mm Asph in den Händen der Fotografen angekommen und konnten bereits für einige Furore sorgen. Mit seiner extremen Lichtstärke ist dieses Objektiv als 28er derzeit einzigartig im Markt und verspricht trotz des großen Bildwinkels die Möglichkeit, gezielt mit der Schärfe zu spielen.

Die Konstruktionselemente. Bereits letztes Jahr war das 28er-Summilux-M ein Bestandteil der auf 101 Exemplare limitierten „Leica M Edition 100″, doch es dauerte noch über ein Jahr, bevor jetzt erste Serienexemplare an die Händler gingen. Und nur so konnte es auch passieren, dass die Leica Q mit ihrem nur vom Namen her ähnlichen Objektiv beinahe gleichzeitig mit dem 28er-Summilux-M erschien. Konstruktiv jedoch haben die beiden 28er nichts miteinander gemein:

Leica M (Typ 240) Summilux 1:1.4/28 mm Asph, Blende 14, 1/4000 s, ISO 200 

Bei offener Blende lässt das Summilux bereits bei mittleren Entfernungen den Hintergrund vollends in der Unschärfe verschwinden

Während das Objektiv der Q mit Autofokus, Zentralverschluss und Bildstabilisator ausgestattet ist, was eine ganz andere Grundkonstruktion notwendig macht, vertritt das 28er- Summilux-M quasi die traditionelle Schule. Von seinen zehn Linsen in sieben Gruppen verfügt eine über eine asphärische Oberfläche. Ein Floating Element sorgt in Verbindung mit der üblichen Gesamtfokussierung für hohe Abbildungsleistungen bis in den Nahbereich, der auf M- System-übliche 0,7 Meter begrenzt ist. Gleich sieben der Linsen bestehen aus Gläsern mit anomaler Teildispersion und insgesamt sorgt dieser hohe Aufwand für eine bemerkenswert hohe Abbildungsqualität — gerade auch im Verhältnis zu der außergewöhnlichen Lichtstärke.

Wer das Datenblatt des Objektivs studiert, erahnt diese Leistungen: Die MTF-Kurven lassen schon bei offener Blende auf sehr gute Schärfe schließen, die bereits durch leichtes Abblenden auf Spitzenniveau steigt. Die bei Weitwinkeln oft etwas höhere Verzeichnung fällt mit 1,1 Prozent extrem gering aus. Einzig die Vignettierung, die voll aufgeblendet bei 3,4 Blendenstufen liegt, könnte Stirnrunzeln hervorrufen. Ein Blick auf die anderen weitwinkligen Summilux- Objektive zeigt jedoch, dass sie angesichts der extremen Lichtstärke keineswegs ungewöhnlich hoch ist. Zudem bessert sie sich schnell, wenn man die Blende ein wenig schließt, und lässt sich in der Nachbearbeitung sehr einfach bekämpfen.

Im Praxiseinsatz. Verglichen mit den bisherigen 28ern für die M-Leica ist das Summilux naturgemäß merklich dicker, länger und auch schwerer als seine Brennweitengenossen: kein Vergleich zwar zum deutlich größeren 24er- oder gar 21er-Summilux, aber auch nicht unbedingt zierlich. Tatsächlich macht das 28er an der M eine gute, ausgewogene und angenehme Figur. Man hat etwas in der Hand und kommt sehr gut an Schärfen und Blendenring, ohne sich am Gewicht wirklich zu stören.



Von links im Uhrzeigersinn: Leica M (Typ 240) Summilux 1:1.4/28 mm Asph, Blende 1.4, 1/4000 s, ISO 200; Blende 1.4, 1/4000 s, ISO 200; Blende 1.4, 1/125 s, ISO 200; Blende 1.4, 1/4000 s, ISO 200

An die Möglichkeit, die Weitwinkelperspektive mit gezielt platzierter Schärfe zu kombinieren, muss man sich erst etwas gewöhnen

Dass das 28er kompakter als die noch kurzbrennweitigeren Summilux-Objektive geraten ist, ist deshalb von Bedeutung, weil die M ja für das 28er den passenden Sucherrahmen besitzt und man keinen Aufstecksucher oder Live View nutzen muss, um seinen Bildausschnitt zu komponieren. Das Summilux raubt dem Messsucher durch seine schiere Größe allerdings fast den kompletten rechten unteren Quadranten, was erfahrene M-Fotografen aber weder überraschen noch besonders stören dürfte.

Ist man mit dem Summilux-28 unterwegs, fühlt man sich naturgemäß genötigt, die Blende möglichst offen zu halten, um die besonderen Fähigkeiten dieses Objektivs zur Geltung zu bringen — ein Summilux wäre mit Sonnenschein-Fotos bei Blende 5.6 deutlich unterfordert. Im Sonnenschein wird es in der Tat mit einem Weitwinkel, das immer ein Stück Himmel einfangen wird, schwierig, die Blende ganz zu öffnen. Auch die geringste Empfindlichkeit und die kürzeste Belichtungszeit von 1/4000 s reichen oft nicht aus, sodass ein Graufilter für Außenaufnahmen zur Standardausrüstung gehören sollte.

Richtig auftrumpfen kann das 28er-Summilux aber in Innenräumen, wenn es einerseits den Zugang zu engen Räumen eröffnet und andererseits mit seiner beeindruckend geringen Schärfentiefe eine enorme Plastizität in die Bilder bringt. Der Verlauf in die Unschärfe ist weich und angenehm, was den Bildern in Verbindung mit der Vignettierung einen einzigartigen Look verleiht. Die Schärfentiefetabelle verheißt extrem geringe Schärfenebenen, aber was für die Gestaltung noch wichtiger ist:  Schon wenn man Objekte in mittlerer Entfernung aufnimmt, wird der Hintergrund deutlich unscharf, was für ein 28er ungewöhnlich ist.Technisch betrachtet ist die Schärfeleistung beeindruckend. Betrachtet man Aufnahmen des Summilux M 1:1.4/28 mm Asph an der M (IVp 240), entdeckt man in der Bildmitte bei offener Blende allenfalls eine minimale Weichheit, an den Rändern reicht Abblenden auf 2.8 für ein Maximum an Leistung, wobei der Schärfeverlust stets so gering bleibt, dass er in der Praxis nie stören wird.

Zwei 28er zur Wahl? Bleibt nur noch eine Frage zu stellen: Stellt die Leica Q mit ihrem Summilux 1:1.7/28 mm Asph tatsächlich eine Alternative zum 28er-Summilux-M dar? Die Antwort ist ein klares Nein, denn ein echtes M-Objektiv an der gewohnten Kamera ist durch nichts zu ersetzen. Will man mit verschiedenen Brennweiten und Optiken arbeiten, kommt ohnehin nur das M-System in Betracht. Etwas anders sieht es aus, wenn man ausschließlich mit einer 28er-Brennweite fotografieren will: Bei den Abbildungsleistungen fällt die Q praktisch nicht ab und bei den sehr geringen Unterschieden in der Schärfe weiß man kaum, ob sie am Sensor, der Optik oder der digitalen Aufbereitung liegen.

Praktisch betrachtet hat die Q zwei Vorteile gegenüber der M: Zum einen bietet sie mit ihrer kürzesten Belichtungszeit von 1/16 000 s mehr Spielraum für die Arbeit mit offener Blende bei Tageslicht, zum anderen ist ihre Naheinstellgrenze mit 30 Zentimetern gegenüber 70 bei der M deutlich geringer, wodurch sich kleinere Objekte spektakulär in Szene setzen lassen. Damit entfällt bei der Q die einzige Limitierung, die bei der Nutzung des Summilux-M 1:1.4/28 mm Asph gelegentlich gestört hat, die aber nichts mit dem Objektiv selbst, sondern eher mit der M und ihrem Messsucher zu tun hat.

Letztlich ist das Summilux-M eben doch noch ein Quäntchen lichtstärker und lässt den Hintergrund noch ein wenig mehr in der Unschärfe verschwinden: Wer dieses Maximum an Qualität und Gestaltungsmöglichkeiten sucht, findet im 28er-Summilux das vielleicht universellste und ganz sicher eines der hochwertigsten Weitwinkel für das M- System.

Zu den technischen Daten