Nachdem die Obama-Regierung 2015 damit begonnen hatte, die Beziehungen zu Kuba zu normalisieren, reiste Molly Mandell in das bisher so schwer zugängliche Land. Drei Jahre verbrachte sie den größten Teil ihrer Zeit auf Kuba und erkundete zusammen mit James Burke die Insel. Die persönlichen Beziehungen, die sie zu vielen Menschen entwickelten, gaben ihnen tiefe Einblicke in das Leben der kubanischen Bürger. In ihrem Buch Made in Cuba dokumentieren sie die typische „DIY“-Kultur (do it yourself) des Landes: Künstler, die recycelte Materialien verwenden, Verlage, die Bücher vollständig von Hand erstellen, Sammler, die antike Möbel mit begrenzten Mitteln restaurieren, und Designer, die ihre unabhängige Zeitschriften ausschließlich über ein USB-Netzwerk vertreiben. Für ihr Projekt trafen sie mehr als 30 Kreative und Unternehmer. Das Buch erzählt ihre Geschichten – aber Made in Cuba ist mehr als die Summe der einzelnen Kapitel, eher eine Art Zeitkapsel, sowohl für das Land als auch für Mandells Leben. Die Aufnahmen belegen ihr großes Interesse für ihre Mitmenschen und ihren Wunsch, es mit einer breiten Öffentlichkeit zu teilen. Molly Mandell sprach mit uns über ihre Zeit auf Kuba, über Menschen, deren Geschichte sie unbedingt erzählen wollte, und über ihre Zukunftspläne.

Sie sind eine erfolgreiche Autorin und ehemalige Redakteurin des Lifestyle-Magazins „Kinfolk“. Welche Rolle spielt Fotografie in Ihrem Leben?

Meine Liebe für das geschriebene Wort ist offenkundig, aber Fotografie und Essen sind eine echte Leidenschaft. Beide kennen keine Sprache – was ich unmittelbar mit anderen Menschen teilen kann, das ist mein Lebenszweck. Dass ein Bild aus sich selbst heraus eine Geschichte erzählen kann, schätze ich sehr. Es ist auch eine Art lebendiger Geschichte, die von dem erzählt, was in der Aufnahme festgehalten wurde, aber auch von meinem Leben. Wenn ich meine Aufnahmen durchsehe, sehe ich, was für mich wichtig war und wie ich in bestimmten Momenten die Welt betrachtet habe.

Woher rührt Ihr Interesse an Kuba? Und wie sind Sie auf die Idee für „Made in Cuba“ gekommen?

Kuba liegt gerade einmal 140 Kilometer südlich von Florida, aber irgendwann wurde mir klar, dass ich praktisch nichts über die Insel wusste. Ich interessiere mich dafür, wie Medien bestimmte Legenden am Leben erhalten und dieses Land schien mir eines zu sein, das entweder als eine Art Paradies beschworen oder völlig in der Luft zerrissen wurde. Die Geschichten über Kuba polarisieren immer, aber ich war neugierig auf das, was dazwischen liegt. Dieses Buch ist das Ergebnis meiner Zusammenarbeit mit dem Fotografen und Schriftsteller James Burke. Als ich meine erste Kuba-Reise plante, war James auf einem Bio-Bauernhof in Austin, Texas, tätig. Wir sind beide an Nachhaltigkeit interessiert und ich wollte herausfinden, wie Kuba mit dem Mangel an Pestiziden und modernen landwirtschaftlichen Maschinen umgeht. James kam mit und wir entdeckten weit mehr als bloß die Landwirtschaft. Auf Kuba gibt es eine unglaubliche DIY-Kultur, die alles zu durchdringen scheint – unabhängig von der sozialen Schicht, der wirtschaftlichen Stellung, von Alter, Rasse und Geografie. DIY-Lösungen sind in Havanna genauso verbreitet wie in entlegenen Kleinstädten. Vom Bauern bis zum Videospiel-Designer: Alle machen mit. Die DIY-Mentalität war wie ein Objektiv, durch das wir das Leben auf Kuba auf eine sehr umfassende Weise neu betrachten konnten.

Wie haben Sie die Menschen gefunden, deren Geschichten Sie erzählen wollten?

Im Grunde kam es darauf an, möglichst viel Zeit auf Kuba zu verbringen. Unser Netzwerk wuchs ständig und wir lernten immer mehr unglaubliche Unternehmer und Kreative kennen. Dabei hat uns unsere Freundin und Mentorin Conner Gorry unterstützt, die eine englischsprachige Buchhandlung und ein Gemeinschaftsprojekt namens „Cuba Libro“ leitet. Sie kommt aus den Vereinigten Staaten, lebt aber seit 2002 auf Kuba, und ist Ansprechpartnerin für ganz unterschiedliche Menschen in Havanna. Generell ist es sehr schwierig, sich auf ein Projekt wie das von James und mir vorzubereiten. Ein Grund, warum wir dieses Buch gemacht haben, liegt darin, dass solche Geschichten nicht oft erzählt werden – denn das bringt umfangreiche Recherche vor Ort mit sich. Wenn wir jemanden online kontaktierten, kam in der Regel nicht viel dabei heraus. Also haben wir Klinken geputzt, um die Menschen zu bitten, ein Teil dieses Buches zu werden. Von 2015, als wir mit unserm Vorhaben begannen, bis 2017 sind im ganzen Land auch immer mehr unabhängige Zeitschriften und andere Medien entstanden, die uns in einigen Fällen geholfen haben, Protagonisten zu finden oder einfach nur Ideen zu entwickeln.

Der Untertitel des Buches lautet „Geschichten von Ausdauer, Eigenständigkeit und Kreativität“. Erklären sie uns bitte, was damit gemeint ist.

Die bereits erwähnte DIY-Kultur zeigt deutlich, wie wichtig deren Eigenschaften für das kubanische Volk sind. Nachdem die Vereinigten Staaten ihr Handels-, Finanz- und Wirtschaftsembargo verhängt hatten, verließ sich das Land fast ganz auf die Sowjetunion, aber als dann der Eiserne Vorhang fiel, verlor Kuba praktisch über Nacht 85 Prozent der Hilfslieferungen und seines Handelsvolumens. Das war drastisch. Am besten beschreibt es Conner Gorry in einem Essay für „Made in Cuba“: „Es war das dunkle Jahrzehnt nach der Implosion des Sowjetblocks, als das Land täglich Stromausfälle erlitt, Zuckerwasser als Süßigkeit galt und die Mast eines Schweins in der Badewanne oder von Hühnern auf dem Balkon etwas Protein für die Familie sicherte. Trotz dieser Entbehrungen machten die Kubaner weiter, stellten Impfstoffe her und zeugten Kinder. Kuba tanzte weiter. Sorgte weiter für medizinische Betreuung und für Bildung. Gewann weiter Sport-Wettkämpfe. Wie zum Teufel haben die Menschen das geschafft?!“ Ihr Einfallsreichtum ist für uns mehr als beeindruckend.

Sie sind in den Vereinigten Staaten aufgewachsen. Wie empfinden Sie die kubanische Mentalität im Vergleich zur amerikanischen?

In zunehmendem Maße scheint eine Wegwerfmentalität um sich zu greifen: Sachen sind nicht auf Dauer ausgelegt. Das beschränkt sich nicht auf die USA allein, aber dort beobachte ich es am häufigsten. Zuletzt habe ich in Texas gelebt, wo die Größer-ist-besser-Mentalität nicht bloß ein Klischee ist. Wenn man gerade aus Kuba kommt, ist es verrückt zu sehen, wie die großen Geschäfte alles Mögliche, auch völlig unnötige Dinge, verkaufen. Heute ist es wirklich etwas Besonderes, einen Ort zu finden, an dem Wiederverwendung so geschätzt wird. Die Kultur auf Kuba lässt mich viel bewusster mit meinen eigenen Habseligkeiten umgehen. Wir vergessen auch mehr und mehr, wie man etwas von Hand macht, da wir uns nur noch auf unsere Smartphones und Computer verlassen. Viele Menschen in unserem Buch erzählen, wie lohnend es ist, etwas von Hand zu schaffen oder zumindest das Know-how dafür zu haben. Außerdem bringt es mehr zwischenmenschliche Kontakte mit sich: Zuerst ist uns auf Kuba aufgefallen, wie leicht es den Menschen fällt, um Hilfe zu bitten und mit Fremden zu reden. Da sie bei Problemen nicht ständig auf das Internet zurückgreifen können, müssen sie sich aufeinander verlassen, und das schafft ein starkes Gemeinschaftsgefühl. In der Freizeit plauscht fast jeder mit Nachbarn, Freunden oder der Familie. Das mag auf den ersten Blick normal erscheinen, aber es ist ein völliger Gegensatz zu Erfahrungen, die ich in den Vereinigten Staaten und anderswo mache, wenn im Restaurant etwa der ganze Tisch mit dem Smartphone im Internet surft.

Die romantische Sicht auf Kuba als ein Land voll perfekt erhaltener 57er-Chevrolets und farbenfroher spanischer Kolonialhäuser ist ebenso falsch wie weit verbreitet. Wie weit gehen Sie mit „Made in Cuba“ bei der Entzauberung dieses Mythos?

Wir wollten diesen Mythos nicht per se entzaubern, sondern andere Geschichten erzählen, die unserer Meinung nach repräsentativer sind für das Land und die Menschen dort. Wir haben Artikel und Bücher über Kuba gelesen, aber selbst in den Quellen, die wir als vertrauenswürdig ansehen, nur wenig gefunden, was über Stereotypen hinausgeht. Da wir uns auf die Menschen und ihre Geschichten konzentriert haben, waren wir nicht in restaurierten amerikanischen Oldtimern unterwegs, die in erster Linie für Touristen da sind. Wir haben vielleicht jemanden porträtiert, der in einem bunten Haus im Kolonialstil lebt, aber das Haus stand nicht im Mittelpunkt unserer Bilder oder Texte. Obwohl jeder seine Vorurteile mit sich herum trägt, haben wir mit vielen Kubanern darüber gesprochen, wie man die typischen Klischees vermeiden kann, und haben uns gemeinsam darum bemüht. Wir haben auch versucht, eine Gruppe von Menschen unterschiedlichen Hintergrunds zu bilden, um einen umfassenderen Einblick in die Kultur zu geben. Wir hätten die östlichen Provinzen des Landes gern besser erkundet, kamen aber leider nur bis zur Stadt Sancti Spíritus. Glücklicherweise konnten wir aber Menschen einbeziehen, die von dort stammen, sodass wir auch diese Regionen abdecken, ohne tatsächlich dorthin gereist zu sein.

Welche ist Ihre liebste Geschichte oder Person aus dem Buch? Und warum?

Oh je, es ist unmöglich, einen Liebling zu bestimmen. El Negro ist wohl ganz weit vorn, weil er den Geist des Buches so rein verkörpert. Er baute sein Haus mit den eigenen Händen und lebt fast ausschließlich von seinem Land. Er ist zum Beispiel ein Experte für Heilpflanzen und heilt alles von der Grippe bis zum Asthma seiner Frau mit dem, was er selbst anbaut. Wir bewundern auch die Menschen, die Sie vielleicht nie mit dieser Art von Einfallsreichtum in Verbindung bringen würden. Ein Lichtdesigner, der Lampen entwirft, die aussehen, als kämen sie aus Skandinavien oder Japan? Ein international bekannter Künstler? Der Kreativdirektor einer Zeitschrift? Ich hätte mir diese Leute nicht als Experten für Nachhaltigkeit vorstellen können, aber das sind sie und jeder auf seine eigene außergewöhnliche Art und Weise.

Welche Rolle spielte die Leica Sofort in Ihrer Arbeit auf Kuba?

Wir haben fast die gesamte Produktion für „Made in Cuba“ mit einer Leica M6 fotografiert, aber auch die Leica Sofort war ein wesentlicher Bestandteil unseres Workflows. Bei unserer Arbeit auf Kuba hörten James und ich so viele Geschichten von Journalisten und Fotografen, die auf die Insel kamen und wieder gingen, ohne danach jemals etwas von sich hören zu lassen. Es ist zugegebenermaßen schwierig, den Menschen dort Fotos zukommen zu lassen, ohne an den jeweiligen Ort zurückzukehren. Die meisten Kubaner haben keinen regulären Internetzugang und oft reicht die Verbindungsqualität nicht für das Laden und Herunterladen von Fotos. Wir halten das jedoch für keine gute Ausrede. Wir haben so unglaublich offene Menschen kennengelernt, die uns auf sehr persönliche Weise in ihr Leben gelassen und uns viel Zeit geschenkt haben, um sie und ihre Arbeit zu fotografieren. Natürlich wollen sie die Fotos sehen, auf denen sie abgebildet sind! Also begannen wir, die Leica Sofort mitzunehmen. Sie ermöglichte uns, sowohl den abgebildeten Menschen als auch ihren Gemeinschaften unmittelbar etwas zurückzugeben.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Leica Sofort gemacht? Und wie haben die Menschen reagiert, die Sie fotografiert haben?

Mit der Sofort zu fotografieren, war oft der Höhepunkt unseres Tages. Wenn wir die Kamera aus der Tasche nahmen, erwarteten die meisten kein Sofortbild. Diese reine Freude – von Kindern, Erwachsenen und älteren Menschen – wenn das Foto herauskam und sich langsam entwickelte, war ansteckend. Wir beobachteten erwachsene Männer, die sich darum stritten, wer das Foto mit nach Hause nehmen durfte. Sofortfotografie war entweder etwas, das die Menschen seit Jahren nicht mehr gesehen hatten, oder eine Technologie, die sie noch gar nicht kannten. Jemand rief einmal aus: „Es ist wie etwas aus der Zukunft!“ Manche Erfahrungen waren auch tiefgreifender. Wir verbrachten Silvester in Ciudad Nuclear, einer halbfertigen Stadt, die für das Personal des nahe gelegenen Atomkraftwerksprojekts und seine Familien errichtet worden war. Wir waren in einem sowjetisch inspirierten Plattenbau untergebracht, in dem die Familie eines Freundes lebt, und machten nach Mitternacht Sofortbilder. Als wir gehen wollten, kam eine Frau zu uns und fragte nervös, ob wir auch in ihre Wohnung kommen könnten, um ein Bild zu machen. Wir machten ein Foto von ihr und ihrer Mutter – wie wir später erfuhren, war es ihr erstes Bild seit 30 Jahren und wahrscheinlich das letzte, denn sie war bei schlechter Gesundheit und hatte wohl nicht mehr lange zu leben. Die Nachbarn baten uns dann in ihre Wohnungen, um Familienfotos zu machen. Wir gingen mit Armen voller Bier und Kuchen, die wir für die, wie sie sagten, unbezahlbaren Bilder mitnehmen sollten. Kameras oder jede Art von Druckdienstleistung für Fotos sind auf Kuba entweder zu teuer oder sehr schwer zu bekommen, besonders in ländlichen Gebieten wie diesem.

Wo kann man „Made in Cuba“ erwerben?

Das Buch ist bei unserem fantastischen Verlag Luster erschienen und in ausgewählten Buchhandlungen sowie auf cuba-made.com erhältlich. Dort geben wir 20 Prozent Rabatt für Leser, die an der Kasse den Code MICxLeica eingeben.

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit?

Ich habe zuletzt an der Redaktion und Artdirektion für das Buch „The Eye“ von „Kinfolk“-Gründer Nathan Williams gearbeitet. Es versammelt auf 450 Seiten einige der talentiertesten Kreativdirektoren aus Vergangenheit und Gegenwart, die in verschiedenen Bereichen tätig sind oder waren, von Mode über das Verlagswesen bis zum Film (Fabien Baron, Melina Matsoukas, Dev Hynes, Grace Coddington und Dries Van Noten). Das Buch, das nur Schwarz-Weiß-Fotografie enthält, ist gerade erschienen. James und ich arbeiten auch an einem sehr spannenden Magazinprojekt, über das ich aber noch nicht sprechen kann. In der Zwischenzeit planen wir die Buchpräsentation in Havanna.

Welchen Rat geben Sie jemandem, der eine Fotoreise nach Kuba plant?

Vermeiden Sie die Klischees – es gibt so viel Schönheit jenseits von Oldtimern, bröckelnden Fassaden und Campesinos, die Zigarren rauchen. Das alte Havanna bietet einige Schätze, aber das ist nur die Spitze des Eisbergs. Auch wenn Sie nur nach Havanna reisen können, gibt es so viele interessante Orte außerhalb des Stadtzentrums. Versuchen Sie, möglichst viel Zeit mitzubringen. Man muss sich erst akklimatisieren, um die Lage der Dinge wirklich zu verstehen und sich dem Tempo des Lebens auf Kuba anzupassen: Auch wenn das bedeutet, dass Sie wahrscheinlich etwas langsamer gehen müssen, als Sie es gewohnt sind. Mein letzter Ratschlag mag überall zutreffen, aber er ist der wichtigste: Lern die Menschen kennen. Sie öffnen die Türen, die für gewöhnliche Touristen nicht zugänglich sind. Die kubanische Infrastruktur lädt einfach dazu ein, die Touristenroute nicht zu verlassen, aber freundliche Einheimische werden Ihnen helfen, Viertel und Städte zu entdecken, die ein echtes Gefühl für das Land und seine Werte vermitteln. Unser Buch wäre ohne ein umfangreiches Netzwerk nicht entstanden. Und darüber hinaus haben wir dadurch einige unserer engsten Freunde gefunden!