Weil er während seines Studiums nach einer Möglichkeit suchte, um seine Skulpturen und Bilder visuell festzuhalten, begann Adam Marelli mit der Fotografie. Ihm erschien es sinnvoller, eine Kamera statt einer Staffelei oder eines Notebooks dabeizuhaben. Jedoch tat er sich zunächst schwer damit, seine fotografische Arbeit konkret zu definieren, es war weder Dokumentar- noch Reisefotografie. Es war etwas anderes. Ausgehend von der sozialwissenschaftlichen Fachrichtung der Kulturanthropologie entwickelte er deshalb den Begriff Kulturfotografie, den er so beschreibt:  

Kulturfotografie betrachtet die Beziehungen zwischen Überzeugungen, Traditionen, Praktiken, Geschichte, Standort und der Bevölkerung und bringt sie in ihren jeweiligen zeitlichen und räumlichen Aspekten visuell zum Ausdruck.  Der Gegenstand der Kulturfotografie ist also der visuelle Ausdruck von Kultur und kann Menschen, Architektur, Objekte, Werkzeuge sowie Bräuche und Praktiken des täglichen Lebens umfassen. Dabei betrachtet die Kulturfotografie sämtliche Kulturen stets unabhängig voneinander und nie vergleichend. Die angewandte Methodik setzt sich aus Feldforschung (sowohl beobachtend als auch erfahrungsorientiert), externer Recherche und einer geteilten Praxis des Fotografen und der fotografierten Kultur zusammen. Damit Kulturfotografie funktioniert, muss der Fotograf über ein Vorwissen verfügen, das er durch praktische Erfahrung, eine gesonderte Ausbildung oder einen ausgeübten Beruf in dem jeweiligen Bereich erworben hat. Das unterscheidet ihn von Fotojournalisten, die zwar beispielsweise mit Kampftruppen arbeiten, aber selbst keine ausgebildeten Angehörigen des Militärs sein müssen. Das auf diese Weise gewonnene, beobachtete Wissen lässt sich somit eher als dokumentarische Fotografie beschreiben, die ihren Schwerpunkt auf Objektivität, der Suche nach Wahrheit und der unvoreingenommenen Abbildung bestimmter Protagonisten legt. Die Kulturfotografie interessiert sich indes für die persönlichen Standpunkte der Fotografierten sowie der Fotografen selbst. 

Marinelli war jahrelang Schüler eines Zen-Mönchs und Lehrling bei einem Baumeister. Wenn er an diese Zeit zurückdenkt, stellt er fest, dass sich in ihr seine unterschiedlichen Interessen nahtlos zusammenschlossen hätten. Er hatte schon immer ein Interesse daran, wie Dinge gemacht werden und was Menschen treibt, etwas zu schaffen. Nachdem er die Kunstschule absolviert hatte, wurde er selbst professioneller Baumeister und begann, ein Zen-Kloster zu besuchen. Dafür, dass er jüngeren Mönchen beibrachte, wie man das Gebäude erhält, lehrten zwei ältere Mönche Marinelli, wie man meditiert. Das eröffnete eine Welt voller Erfahrung, Geduld und Konzentration.

Seine Leidenschaft für das Handwerk geht auf eine Italienreise als 12-Jähriger zurück. In New Jersey gebürtig, empfand er seine Welt als gewöhnlich und war verblüfft, als er eine Kirche in Bergamo besuchte. Er beschreibt es so, als hätte er eine M.C.-Escher-Zeichnung betreten. Der Drang zu verstehen, wie man Kirchen und Tempel baut, entwickelte sich zu einer treibenden Kraft in seinem Leben.

Aus seinem ständig wachsenden Willen, neue Erfahrungen zu machen, entwickelte sich im Laufe der Zeit der Wunsch, das Handwerk zu dokumentieren. Indem er diese Serie fotografiert, befindet er sich stets in einem Prozess, der vom Nichtwissen zum Wissen führt. Mit dieser Arbeit ebnet er anderen einen Weg, seine Reise zu genießen und zu bezeugen. Seine Vergangenheit als Baumeister hilft ihm, sich mit seinen Protagonisten zu identifizieren. Im Allgemeinen sind Handwerker schüchtern und lassen sich nicht gerne fotografieren, geschweige denn besuchen. Anstatt wie ein Journalist hereinzuspazieren, unnatürliche Posen zu fordern oder zu verlangen, etwas nur für die Kamera zu tun, gibt Marelli ihnen das Gefühl, mit einem Kollegen zu sprechen. Die Handwerker verrichten während der Foto-Sessions ihre Arbeit, völlig echt, völlig ungekünstelt. Oft besucht er sie wieder, sei es, um ihnen ein paar Prints zu bringen, sei es, um sich über aktuelle Projekte zu informieren. Er liebt diese Menschen, oft hat er Jahre mit ihnen verbracht. „Ich sah, wie sie heirateten, Kinder bekamen und manchmal sogar starben“, erzählt er. „Die Fotografie der Handwerkskunst ist ein Teil meiner Seele geworden. Ich kann mir meine Arbeit unmöglich ohne sie vorstellen.“

Marelli fotografiert mit der Leica M (Typ 240), deren Einfachheit er genießt. „Egal, ob die M6, die M9, die M (Typ240) oder demnächst auch die M10-P – ich brauche keine Zeit damit zu verschwenden, mir die Benutzerführung neu anzueignen“. Das Display habe sich bei der Arbeit als unglaublich praktisch erwiesen. Wann immer er jemanden besser darstelle, als er sich selbst sehe, passiere etwas Magisches, erzählt er. Obwohl er die analoge Fotografie liebt, hat ihm die Unmittelbarkeit des Digitalen bei seiner Arbeit immer geholfen. Viele der Handwerker, die er fotografiert, kennen Leica und sehen die Kamera als ein gut verarbeitetes Werkzeug. Oftmals haben sie sogar ihre eigenen Geschichten, die sich um Leica drehen. Werkzeuge sind wichtig für Menschen, die Dinge bauen, und Handwerker schätzen sie, aber sie lassen sich nicht von ihnen überwältigen.

Marellis Arbeit führt ihn für gewöhnlich in die Ferne, immer hat er seine ganze Ausrüstung dabei. In der Vergangenheit hat er Mittelformat fotografiert, aber mittlerweile bevorzugt er leichteres Gepäck. Eine Leica M, drei Objektive und ein Gitzo-Reisestativ passen perfekt in die Kameratasche, die er für sich selbst entworfen hat. Bei den Objektiven handelt es sich um ein 35er- und 50er Summicron sowie um ein 90er-Summarit. Er hatte das Glück, bisher mit fast Leica Objektiven fotografiert zu haben, was ihm erlaubte, die Welt der Handwerker mit der Vielfalt einzufangen, die ihr gerecht wird. Für Marelli verfügen die Summicron-Objektive über eine Wärme, die sich gut für Porträts in natürlicher Umgebung eignet.  

Gegenwärtig arbeitet Marelli an einem Buch mit dem Titel Picture This: A roadmap for photographers and their creativity”, das im Dezember 2018 erscheint. Das Buch wirft einen strategischen Blick auf den kreativen Prozess der Fotografie und richtet sich speziell an Fotografen. Es ist eine Reaktion auf viele Anfragen von Kollegen, die nicht wussten, wo sie anfangen sollten, wenn es darum ging, ihren eigenen Stil zu entwickeln oder die Sprache der Bilder zu verstehen. Oft erzählten sie, dass sie keine künstlerische Ausbildung besäßen und nicht wüssten, wie man kreativ sein könnte. So beschloss Adam nach 20 Jahren als praktizierender Fotograf, all sein Wissen in einem Buch zusammenzustellen, das als eBook und Hardcover erhältlich sein wird. Damit möchte er die Frage beantworten, die er bisher am häufigsten hörte: „Wonach suchst du, wenn du ein Foto machst?“

Gelehrt hat er auch früher schon: Marelli veranstaltet regelmäßig Fotoworkshops. Obwohl ihm die Idee zunächst nicht gefiel, er sah sich nicht als „fotografischer Reiseführer“, aber die Teilnehmer seiner Workshops kamen zu tollen Ergebnissen, den viele wollen hinter die touristischen Fassaden des Reisens blicken, wollen Kontakt mit wirklichen Menschen aufnehmen. Oft sind die Teilnehmer seiner Workshops nur nicht sicher, wie sie das anstellen sollen. Marelli bringt ihnen das Wie und Warum des Fotografierens an bestimmten Orten bei und wie man sich verschiedenen Kulturen nähert. Die Teilnehmer genießen es, an Orten zu fotografieren, zu denen sie sonst vielleicht keinen Zugang hätten – und Marelli fühlt sich, als würde er eine kleine Expedition leiten. Seine Workshops sind immer Reisen, die sich ganz natürlich entwickeln, Reisen, deren Ergebnis immer überraschend ist.

Mit seiner fotografischen Expertise und seinem Zugang zu Handwerkern entwarf Marelli kürzlich die A\M Kameratasche in Kooperation mit der britischen Firma Chapman Bags. Dazu nahm er die klassische Umhängetasche auseinander und fügte sie von Grund auf neu zusammen. Jedes noch so kleine Detail hat er optimiert. „Das Ziel war es, eine Tasche zu entwerfen, die dreierlei Zweck erfüllt: Sie sollte als dedizierte Kameratasche, Umhängetasche und tägliches Gepäckstück funktionieren.“ Die Tasche stieß bisher auf große Resonanz. In Kürze wird sie bei B&H Photo, in den Leica Stores Miami und Soho sowie bei Leica China erhältlich sein.  

Auf die Frage, welche Ratschläge er anderen Fotografen geben würde, hat Adam eine einfache Antwort: „Finde heraus, was dich einzigartig macht. Du blickst auf eine Lebenserfahrung, die niemand kopieren kann. Genau das muss in deiner Arbeit zum Tragen kommen. Wenn du das Gefühl hast, zu wissen, welchen Zweck und welche Bedeutung deine Arbeit für dich hat, dann stelle dir die wirklich schwierige Frage:  ‘Wen juckt’s?’”.

Sein Interesse an der Wissbegierde der Handwerker und der Unterstützung ihrer Mäzene hat seine Sicht auf die Fotografie radikal verändert und zu unerwarteten Entdeckungen geführt. Es wäre klug, diesem Beispiel zu folgen.

Sehen Sie mehr Fotografie von Adam Marelli auf seiner Website, buchen Sie einen Workshop mit Ihm, oder verbinden Sie sich mit Ihm auf Instagram.

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