Die Pulitzer-Preise sind nach dem Journalisten, Verleger und Gründer der Columbia School of Journalism, Joseph Pulitzer (1847–1911), benannt. Die prestigeträchtigen Auszeichnungen für herausragende Leistungen in den Bereichen Journalismus und Kunst werden seit über 100 Jahren vergeben. Der Pulitzer-Preis für Fotografie wurde 1942 ins Leben gerufen und 1968 durch die Kategorien Reportage und Aktuelle Fotoberichterstattung ersetzt. Das Preisgeld beträgt derzeit jeweils 15.000 Dollar. In diesem Jahr ging der Reportage-Preis an Lorenzo Tugnoli. Seine Reportage über die verheerende humanitäre Krise im Jemen war im Dezember 2018 in der „Washington Post“ erschienen. Zehntausende Jemeniten hatten in Übergangslagern Zuflucht gesucht, in denen ihre Versorgung jedoch völlig unzureichend war, weil es kaum Infrastruktur und medizinische Hilfe gab.

Wir sprachen mit dem Fotografen über seine Arbeit und seine Sicht auf den Fotojournalismus.

Zunächst erst einmal herzlichen Glückwunsch zum Pulitzer-Preis! In welchem Teil der Welt halten Sie sich gerade auf?

Vielen Dank! Ich bin in Beirut, wo ich seit dreieinhalb Jahren lebe.

Was bedeutet Ihnen der Pulitzer-Preis?

Bedeutung hat der Preis auf unterschiedliche Weise. Wesentlich ist natürlich, dass er wieder ein Schlaglicht auf den Krieg im Jemen wirft, den viele Menschen völlig vergessen haben. Mir ist auch wichtig, dass ein italienischer Fotograf den Preis gewonnen hat. Die Medien sagen, dass ich der erste italienische Fotograf sei, der den Pulitzer-Preis gewonnen habe, aber ich bin mir nicht sicher, ob das wirklich stimmt. Aber der Preis ist wichtig für die Fotografie und vor allem für Italien: Dort gibt es viele tolle Fotografen, aber der redaktionelle Markt ist nicht auf Fotografie ausgerichtet. Wir haben nicht viele Magazine, die überhaupt Fotos veröffentlichen, und wir haben kein Magazin, das Fotografen beauftragt und ihre Reisen finanziert. Der Pulitzer-Preis ist wichtig für die Sichtbarkeit des Fotojournalismus.

Und was bedeutet er für Sie persönlich?

Für mich ist der Preis wichtig, weil er eine Anerkennung meiner Arbeit ist, die mir hilft, sie fortzusetzen. Mit dem Preisgeld kann ich selbst Reisen finanzieren und neue Geschichten erzählen. Ich kann in zukünftige Projekte investieren, nach Afghanistan zurückkehren zum Beispiel oder auch in den Jemen, wenn ich ein Visum erhalte. Der Preis eröffnet mir viele Möglichkeiten.

In diesem Blog-Beitrag zeigen wir die berühmte Serie, die Sie in Ihrer Nachbarschaft in Beirut fotografiert haben, und die den Stadtteil Naba’a mit seinen gemischten Ethnien dokumentiert. Im Gegensatz zu Ihrer mit dem Pulitzer-Preis ausgezeichneten Jemen-Serie war das ein Projekt, das Sie in Schwarz-Weiß fotografiert haben . Nach welchen Kriterien entscheiden Sie sich für Farbe oder für Schwarz-Weiß?

Schwarz-Weiß ist für mich eine Art Sprache. Schwarz-Weiß liegt mir näher, denn so habe ich Fotografie gelernt. Aber es gibt mehrere Gründe. Einer von ihnen liegt in meiner persönlichen Geschichte: Ich habe als Assistent eines Fotografen in Bologna, Massimo Sciacca, angefangen, den die Agentur Contrasto vertreten hat, bei der ich jetzt ebenfalls Mitglied bin. Er war einer der vielen italienischen Fotografen, die über die Kriege im ehemaligen Jugoslawien berichtet haben. Das war eine wichtige Zeit für die italienische Fotografie, denn viele italienische Fotografen, zum Beispiel Alex Majoli oder Paolo Pellegrin, haben dort ihre Tätigkeit als Fotografen aufgenommen. Und in den 90er-Jahren wurden Reportagen überwiegend in Schwarz-Weiß fotografiert.

Farbfotografie ist eine andere Art zu sehen. Farben sind kompliziert. Es geht darum, wie man die Dinge sieht. Mein Ansatz bei der Bildgestaltung ist es, die Linien, die Formen und das Licht zu betrachten, und es gibt eine Art Struktur in meinen Bildern. So fühle ich mich wohler. Als ich in Afghanistan war, habe ich mit einer Leica M6 viel in Schwarz-Weiß fotografiert, daraus entstand 2014 das Buch The Little Book of Kabul. Es gibt eine klare Trennung zwischen meiner redaktionellen und meiner persönlichen Arbeit, Letztere fotografiere ich mit einer Leica in Schwarz-Weiß, so auch meine neue Serie über Beirut. Meine persönliche Arbeit ist etwas anderes als das, was der redaktionelle Markt verlangt. Im Jemen war ich im Auftrag der „Washington Post“ unterwegs und meine Aufnahmen waren für die Titelseite gedacht. Also mussten sie in Farbe sein.

Wie sehen Sie die Zukunft des Fotojournalismus?

Ich bin wirklich optimistisch und habe ein gutes Gefühl. Als ich anfing, als Fotojournalist zu arbeiten, war der Markt bereits in einer schlechten Verfassung, aber ich bin mir sicher, dass es eine Zukunft für den Fotojournalismus gibt. Natürlich gibt es eine große Krise auf dem Markt, aber es gibt auch so viele großartige Fotojournalisten, die trotz aller Herausforderungen einen sehr guten Job machen.

Viele Fotojournalisten drehen heute auch Videos. Wäre das eine Option für Sie?

Nein, ich war schon immer ein Fotograf und ich denke, Fotografen sollten Fotografen sein –Spezialisten auf ihrem Arbeitsgebiet. Und wenn man den Pulitzer-Preis erhalten möchte, muss man natürlich Fotograf sein.

Spielt das Kamerasystem eine Rolle bei Ihrer Arbeit?

Man kann ja durchaus sagen, dass Leica mit der Idee des Fotojournalismus verbunden ist. Diese kleine Kamera kann Zugänge ermöglichen, die ich sonst vielleicht nicht bekäme. Ich habe viel Zeit damit verbracht, Menschen zu fotografieren, und wenn man mit einer kleinen Kamera arbeitet, kann man ihnen buchstäblich näherkommen, ohne aufdringlich zu sein. Die Arbeit mit einer Leica ist nicht nur von der einfachen Bedienung, sondern auch vom Charme der Kamera geprägt.

Leica M

The Leica. Yesterday. Today. Tomorrow.

Welche Hoffnungen und Träume verbinden Sie mit der Zukunft?

Meine Hoffnung ist es natürlich, diese Arbeit fortsetzen zu können. Ich habe wirklich Glück, dass ich als Fotojournalist arbeiten und an all diese Orte reisen kann. Ich träume davon, dass meine Arbeit in einen Diskurs eingebettet ist, in Afghanistan, im Jemen, wo auch immer. So soll eine Vision entstehen, die in ein umfassendes Portfolio mündet, das als Ganzes sinnvoll ist.

Ein Portfolio zu Lorenzo Tugnolis Serie Naba’a finden Sie in der LFI 2/2018.

 

Lorenzo Tugnoli, geboren 1979, wird regelmäßig in der „Washington Post“ und verschiedenen internationalen Zeitschriften veröffentlicht. Er wohnt in Beirut und wird durch die Agentur Contrasto vertreten. Im Rahmen eines Langzeitprojekts dokumentiert er seit über drei Jahren den Beiruter Stadtteil, in dem er lebt. Seine Schwarz-Weiß-Reportage über den Bezirk Naba’a wurde mit einer Leica M aufgenommen. Demnächst wird auch mit der Leica CL arbeiten. Tugnoli wird auf dem Visa pour l’image International Festival of Photojournalism 2019 in Perpignan, Frankreich, vertreten sein.

Besuchen Sie Lorenzo Tugnolis Website, um weitere Arbeiten von ihm zu sehen.