Licht und Schatten – Fotografien von Leica Pionieren

Mit der ersten umfassenden Retrospektive zum Werk der Leica Fotografen Dr. Paul Wolff und Alfred Tritschler öffnet das Ernst Leitz Museum in Wetzlar am 28. Juni 2019 seine Pforten.

Seit den 1920er-Jahren haben Dr. Paul Wolff und sein Geschäftspartner Alfred Tritschler zentrale Ereignisse und Entwicklungen ihrer Zeit wie den Autobahnbau, Dampferreisen oder die Zeppelin-Begeisterung mit der Kamera begleitet. Sie gelten als Pioniere der Leica. In akribischen Recherchen hat der Autor, Kurator und Leica Kenner Hans-Michael Koetzle ein Ausstellungsprojekt vorbereitet, mit dem nun das neue Ernst Leitz Museum in Wetzlar eröffnet wird. Wir haben mit ihm gesprochen.

 

Herr Koetzle, was waren Ihrer Meinung nach die Hauptgründe für den enormen Erfolg von Paul Wolff?

Wolff hat sich früh als fotografierender Autor positioniert, seine Fotografie mit seinem Namen, seinem Gesicht verknüpft und umgekehrt. So avancierte er zügig zu einer Instanz. Ein „Star“ zu seiner Zeit, dessen ästhetischer Kosmos sich allerdings nicht zu weit auf das Feld des Experimentellen vorwagte, sodass seine Arbeit lange Zeit als vorbildlich angesehen und von einem Heer internationaler Leica Enthusiasten adaptiert wurde.

 

Obwohl die beiden Fotografen äußerst erfolgreich und produktiv waren, hat es bis zu einer kritischen Aufarbeitung ihres Werks lange gedauert. Woran liegt das Ihrer Meinung nach?

Dafür gibt es mehrere Gründe: Wolff ist schwierig einzuordnen. Er passt in keine Schublade. Als Autodidakt und fotografierender Amateur zählt er zu den erfolgreichsten Professionellen der späten 1920er- und 30er-Jahre. Hinzu kommt die schiere Masse: Wolff bediente alle nur denkbaren Gattungen der Fotografie. Ästhetisch bewegte er sich auf dem Terrain einer ausklingenden Kunstfotografie ebenso wie auf dem eines Neuen Sehens, fotografierte im Geist der Neuen Sachlichkeit, um sich wenig später von der Idee zu distanzieren. Kurz: Wolff ist in seinem Wirken ein großes Paradox. Wir haben genau diese Ambivalenz als Herausforderung begriffen.

 

Wie war die Ausgangslage?

Wolffs Archiv wurde im März 1944 Opfer der Luftangriffe auf Frankfurt. Immerhin hatte man die Kleinbildnegative ausgelagert. Darüber hinaus haben Abzüge in Agenturen wie Schostal oder Ullstein den Krieg überlebt. Hinzu kommen Unterlagen in Firmenarchiven, Dokumente in Privatbesitz oder öffentlichen Sammlungen. Nicht zu vergessen: eine unveröffentlichte Autobiografie, Spuren in der Presse jener Jahre, seine Bücher, eine Reihe verstreuter Briefe. Es ist ein großes Mosaik mit, zugegebenermaßen, Leerstellen. Insgesamt ergibt sich nach jahrelanger Forschung aber doch ein klares Bild.

 

 

Welche Rolle spielte das Leica Archiv bei der Bearbeitung von Wolffs Werk?

Bekanntlich wurde der nach Gießen ausgelagerte Archivbestand des Unternehmens im Dezember 1944 durch Bomben vernichtet. Immerhin konnten Teile der Bibliothek sowie die Lieferbücher gerettet werden. Ihnen ist etwa zu entnehmen, dass Wolff 1926 nicht nur eine, sondern gleich zwei Kameras vom Typ Leica I bekam. Auch einige Schreiben an Oskar Barnack haben sich erhalten. Es sind wenige, aber mit Blick auf das Gesamtbild unverzichtbare Wegweiser.

 

Welche Rolle spielte Alfred Tritschler für die Firma Dr. Paul Wolff & Tritschler?

Im Gegensatz zu Wolff hatte Alfred Tritschler an der Münchner Fotoschule eine solide Ausbildung genossen. Er war jünger, vermutlich aufgeschlossener in technischen Fragen und ein brillanter Fotograf. Die wirklich lebendigen Fotos stammen von ihm, etwa Aufnahmen aus dem fahrenden Zeppelin, auch Ski- und Wassersport sind mit seinem Namen verbunden. Aber er war und blieb der zweite Mann in der von Wolff gegründeten Firma. Durch korrekte Zuschreibung wird sein Anteil an der „Marke“ Dr. Paul Wolff & Tritschler durch unsere Forschung erstmals transparent.

 

Fotografien aus der Zeit des Nationalsozialismus benötigen noch immer eine erklärende Balance. Wie schafft man es als Kurator, den Kontext des Lebenswerks darzustellen?

Es braucht natürlich die Erklärung. Das Thema ist komplex, die Indienstnahme der Fotografie durch die Nationalsozialisten ein erst in Ansätzen erforschtes Terrain, das wir jetzt nicht in aller Ausführlichkeit aufarbeiten können. Immerhin stellen wir Fragen und versuchen uns mit Blick auf Dr. Paul Wolff & Tritschler an Antworten. In der Summe ist das Lebenswerk der beiden nicht ohne Widersprüche, was die mit rund 400 Objekten – darunter bis dato nie gezeigte Vintage Prints, Plakate, Dokumente, Zeitschriften und Bücher – reich orchestrierte Ausstellung eher als Chance begreift: das Unternehmen Dr. Paul Wolff & Tritschler als „Phänomen“, eingebettet in die deutsche Geschichte um 1930.

 

 

Welche Spuren hat Wolff aus Ihrer Sicht in der Geschichte der deutschen Fotografie hinterlassen?

Sein Einfluss auf die Kleinbildfotografie der 1930er- und 40er-Jahre ist schwerlich zu überschätzen. Seine Bildsprache in ihrer verhalten modernen Ausprägung, dabei technisch perfekt, beeinflusste mehrere Generationen ambitionierter Amateure. So prominent Wolff zu Lebzeiten war, so gründlich wurde er nach seinem frühen Tod vergessen.

Dr. Paul Wolff, geboren am 19. Februar 1887 in Mulhouse, studierte bis 1913 Medizin (Abschluss 1914). Nach dem Ersten Weltkrieg arbeitete er im Film und als Fotograf, traf 1921 Oskar Barnack und erwarb 1926 seine ersten beiden Leicas. Sein Standardwerk Meine Erfahrungen mit der Leica wurde 1932 veröffentlicht. 1934 gründete er mit Alfred Tritschler, der seit 1927 für ihn tätig war, ein Unternehmen.

Alfred Tritschler, geboren am 12. Juni 1905, absolvierte in seiner Geburtsstadt Offenburg (Baden) eine fotografische Ausbildung und studierte ab 1924 Fototechnik in München. 1927 bewarb er sich bei Paul Wolff in Frankfurt um eine Stelle. Später wurde er Miteigentümer und führte nach Wolffs Tod am 10. April 1951 das Unternehmen selbstständig weiter. Am Silvesterabend 1970 verstarb Tritschler. Das Unternehmen hatte bereits 1963 ein Neffe übernommen.

Die Ausstellung wird vom 28. Juni 2019 bis zum 26. Januar 2020 im Ernst Leitz Museum, Wetzlar, zu sehen sein.

Der umfangreiche Fotoband (464 Seiten, rund 1000 Bilder, 24 x 29 cm) ist im Kehrer Verlag erschienen und enthält Texte von Sabine Hock, Randy Kaufman, Hans-Michael Koetzle, Kristina Lemke, Günter Osterloh, Tobias Picard, Gerald Piffl, Shun Uchibayashi und Thomas Wiegand.

Ein Portfolio zu den Arbeiten von Paul Wolff und Alfred Tritschler ist in LFI 5.2019 erschienen.