Ihre Bilder zeigen die Welt, wie sie Kinder und Eltern in jedem Moment erleben – so als wäre die Fotografin gar nicht anwesend. Die Szenen ihrer natürlichen, lebendigen Studien erinnern an Stills aus einem Reality-TV-Format und schöpfen doch die charakteristischen Merkmale der Fotografie voll und ganz aus. Im Gespräch gibt Morrow einen Einblick in ihre Tätigkeit als Familien-Dokumentarfotografin.

Sie selbst bezeichnen sich als Familien-Dokumentarfotografin. Glauben Sie, dass diese Tätigkeit in jungen Jahren leichter fällt als später, wenn Sie älter geworden sind?

Kürzlich habe ich diese Frage gelesen: „Was wollen Sie mit der Kamera erforschen?“ Vielleicht ist meine Spezialisierung auf die Dokumentation von Familien eine Art, etwas neu zu gestalten. Ich möchte Menschen, Familiendynamik und die Liebe der Menschen zueinander studieren – deshalb habe ich mich spezialisiert. Möglicherweise ist der Zugang zu den Familien einfacher, weil ich in meinen frühen Zwanzigern bin und mich gelegentlich nach meiner Kindheit sehne? Oder vielleicht liegt es daran, dass mich Liebe und Beziehungen umso mehr faszinieren, je älter ich werde? Oder es ist eine Mischung aus beidem.

Was stellt Sie beim Fotografieren vor die größten Herausforderungen?

Die technischen Details. Da meine Kurse in der Schule sehr technisch geprägt sind, möchte ich hinter der Kamera alles so tief wie möglich spüren und ganz in den emotionalen Bereich eintauchen. Technische Fragen stehen im Hintergrund.

Ist die Beobachtung richtig, dass Sie eine enge Beziehung zu Ihren Protagonisten haben? Wie bauen Sie diese Beziehungen auf?

Die meisten Kunden kenne ich vor unserer Sitzung nicht, sodass die Beziehung und das Vertrauen erst dann aufgebaut werden. Am Anfang steht normalerweise eine warme Umarmung, mit den Kindern bewege ich mich auf ihrer Augenhöhe, sodass sie auch meine Kamera berühren können.

Glauben Sie, dass Sie leichter Zugang zu intimen Situationen erhalten, weil Sie eine Fotografin sind?

Eindeutig ja. Als Frau bekomme ich definitiv einfacher Zugang zu intimen Situationen.

Wie bereiten Sie sich auf eine Day in the Life-Sitzung vor? Wie lange dauert sie typischerweise?

Ohne Kamera fühle ich mich nackt – zumindest ein Smartphone oder eine kleine Kompaktkamera habe ich immer dabei. Oder eben eine Leica. Ich bereite mich auf eine Sitzung vor, indem ich mir sage, dass alles in Ordnung sein wird und ich es herausfinden werde. Ehrlich gesagt, bin ich vor einem Shooting ziemlich nervös, aber sobald ich in meinen Flow-Zustand komme, spielt nichts anderes eine Rolle, außer dem, was gerade passiert. Meine kürzeren Sitzungen dauern etwa zwei bis vier Stunden, die längeren acht bis zehn.

Haben Sie fotografische Vorbilder? Wer hatte Einfluss auf die Entwicklung Ihrer eigenen Sichtweise?

Einige meiner fotografischen Vorbilder sind Steven Meisel, Niki Boon, Nan Goldin, Frederikke Brostrup und Tim Walker. Als ich mit Fashion begann, hatte Tim Walker einen großen Einfluss auf mich – ich studierte die Art und Weise, wie sich die Modelle bewegten, die Bühnenbilder und die Beleuchtung.

Welche stilistischen Elemente bevorzugen Sie?

Am liebsten komponiere ich derzeit Menschen in Ebenen und fotografiere mit Brennweiten kürzer als 35 mm. Ebenen sind wie ein Puzzle – und das liegt mir als angehender Ingenieurin. Wenn die einzelnen Ebenen eine ansprechende Komposition bilden, ist das sehr befriedigend.

Warum mischen Sie Farb- und Schwarz-Weiß-Bilder?

Ich habe mal ein Zitat gelesen, das in etwa besagte, man solle ein Bild in Schwarz-Weiß konvertieren, wenn Farbe ihm nichts hinzufüge. Wenn sich dann ein Bild in Schwarz-Weiß stumpf und leblos anfühlt, wechsle ich wieder zur Farbe. Grundsätzlich neige ich aber natürlich zu Schwarz-Weiß, weil es Konturen und Beleuchtung so schön wiedergibt.

Lassen Sie uns drei Serien näher betrachten: Greensboro, NC, Brooklyn, NY und Pilot Mountain, NC, alle produziert im Jahr 2018. In welchen Situationen befinden wir uns dort?

Greensboro, NC war der erste Tag eines Shootings von Schulfotos für eine Familie – ich hatte das Privileg, schon dort zu sein, bevor die Kinder aufwachten und begleitete sie bis in ihr Klassenzimmer. In Brooklyn, NY, war es eine junge Familie, die in New York von Wohnung zu Wohnung zog – in jener Zeit lebte sie gerade in einem Airbnb-Quartier. Und in Pilot Mountain, NC, nahm ich an einer kleinen Südstaaten-Hochzeit in den Bergen von North Carolina teil. Diese Serie dreht sich in erster Linie um die Braut und die Brautjungfern, die sich auf die Zeremonie vorbereiten.

Mit welchem visuellen Ansatz gehen Sie an eine Day in the Life-Sitzung heran?

Diese Frage ist nicht ganz einfach zu beantworten, weil mein Vorgehen mehr oder weniger intuitiv ist. Wenn ich meinen visuellen Ansatz in Worte fassen müsste, würde ich sagen, dass es eine Zweiteilung zwischen Kontrolle und Hingabe gibt. Ich kontrolliere die Kamera und wie ich mich positioniere. Und dann beobachte ich mit Hingabe das Licht und die Bewegungen der Menschen vor mir.

Welche Projekte möchten Sie im Anschluss verfolgen?

In Zukunft würde ich gern Mode und Dokumentation miteinander verschmelzen und Werbung und redaktionelle Beiträge so fotografieren, wie ich Familien dokumentiere.

Für die hier gezeigten Aufnahmen hat Grayson Morrow eine Leica CL mit Vario-Elmar-TL 1:3,5–5,6/18–56 ASPH. verwendet.

Geboren 1995 in Greensboro, NC, zog Grayson Morrow 2014 nach New York und besuchte Parsons The New School for Design (2014–2016). Anschließend bekam sie einen Job als Nanny in New York, was ihre Liebe zu Kindern und Familien entfachte. Kurz darauf absolvierte sie Praktika bei TED Talks und Johns Hopkins, Washington, D.C., um im Bereich Healthcare Design zu arbeiten. Dann zog Morrow zurück nach North Carolina und besucht derzeit die North Carolina State University in Raleigh, wo sie Ingenieurswesen studiert und als Familien-Dokumentarfotografin arbeitet.

 

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