In seiner Serie Der Fremde konzentriert sich der Modefotograf Tuan Anh Le auf die Präsenz des Menschen in der Natur. Mit seinen fantastischen, surrealen Kompositionen sucht er aber auch nach dem eigenen Selbst.

Ihre Serie heißt Der Fremde. Wer genau ist das?

Zu dem Titel Der Fremde hat mich eines meiner Lieblingsbücher, L’étranger von Albert Camus, inspiriert, aber in meiner Serie repräsentiert der Fremde zwei Perspektiven. Auf der einen Seite steht die Natur, auf der anderen ich selbst, der Fotograf. Es gab Momente in meinem Leben, in denen mich mein eigenes Selbst wie einen Fremden sah. Also beschloss ich, in die Wildnis zu gehen. Ich fragte mich: „Wie können wir die Natur heute definieren? Was ist eigentlich Natur? Werden wir sie in Zukunft nur noch in Form von Nationalparks oder Naturschutzgebieten kennen?“ Meine Antwort war, für einen Moment eine Pause einzulegen und das alles zu bedenken.

Worauf konzentrieren sich Ihre Bilder, auf den Menschen oder die Natur?

Landschaften ohne Menschen haben für mich keine Bedeutung und umgekehrt. Der Schwerpunkt meiner Arbeit liegt auf der Beziehung zwischen beiden Motiven.

Den Strukturen der Räume entsprechen die Strukturen in der Garderobe Ihrer Models. Passen sie sich der Umgebung an oder ist das eher ein stilistisches Mittel?

Auch wenn ich als Modefotograf arbeite, war Mode in meinen Fotos nie ein wichtiger Faktor. Materialien, Strukturen, Muster auf der Kleidung und sogar die Models selbst sind nur die Vehikel, durch die ich eine Botschaft vermittele. Dennoch achte ich sehr auf die Wahl der richtigen Models und ihrer Outfits.

Sie haben einmal gesagt, dass Ihre Aufnahmen dazu da sind, eine Geschichte zu erzählen. Worum geht es in dieser Geschichte?

Ich habe viele Jahre unter enormen Druck gelitten. Die Arbeiten, die ich machte, zogen mich in einen Strudel von Routine, in dem humanistische Werte verloren gingen und alles nur noch Arbeit wurde. Einschränkende ästhetische Standards entfremdeten das Ergebnis völlig von seinem Schöpfer. Das ist genau die Art der Entfremdung, die Albert Camus bei seiner Hauptfigur in L’étranger beschreibt. Mersault hatte erkannt, dass er nicht mehr er selbst war. Er war zu einem Fremden am Rande der Gesellschaft geworden, der sich nun weigerte, weiter „aufzutreten“. Meine Serie ist ebenfalls das Ergebnis eines Gefühls der Entfremdung. Es zeigt meine Ablehnung der Art von Studioaufnahmen, die weit verbreitet sind, und der ästhetischen Prinzipien, die von der Gesellschaft diktiert werden. Ich wollte mich in der Natur verlieren, sie beobachten, fühlen und mich von den Dingen überraschen lassen.

Das Faszinierende an Ihren Bildern ist die präzise Komposition gepaart mit der Schönheit aller Objekte. Traum oder Realität?

Ich bewege mich auf dem schmalen Grat zwischen Traum und Realität, zwischen dem Realen und dem Surrealen. Und diesen Weg möchte ich weitergehen.

Welche Ausrüstung haben Sie für diese Serie verwendet?

Eine Leica S und eine Leica SL – bisher meine beste fotografische Erfahrung: Ich war rundum glücklich. Die Postproduktion spielt bei meiner Arbeit keine große Rolle, vor allem nicht, wenn die Bilder im Freien aufgenommen worden sind.

Unter Physikern heißt es, wer das Licht versteht, der wird das Universum verstehen. Praktisch alle Ihre Bilder haben einen Bezug zum Licht, oft aus künstlich Quellen.

Fotograf zu sein bedeutet nun einmal, mit Licht zu schreiben. Meiner Meinung nach ist die Beleuchtung der schwierigste, aber auch der interessanteste Aspekt einer Aufnahme. Allerdings kann das Arbeiten im Freien mit komplexer Beleuchtungstechnik bedeuten, dass ich das Gefühl für die Umgebung verliere, ganz zu schweigen davon, dass es Zeit und Mühe kostet. Stattdessen experimentiere ich oft mit unterschiedlichen Kombinationen von natürlichem und künstlichem Licht. Gleichzeitig ist das Arbeiten ohne aufwendige Lichtinstallation auch eine Herausforderung, denn ich muss schnell reagieren und mich an die Situation anpassen, um das zu erreichen, was ich mir vorgenommen habe. Spontaneität kann jedoch zu Magie führen.

Was halten Sie neben Licht und Struktur noch für wichtig in Ihrer fotografischen Arbeit?

Raum – innen wie außen.

Bäume spielen in Ihren Bildern oft ebenfalls eine Rolle. Warum?

Ich sehe sie als Symbol des Lebens. Einen Baum wachsen zu sehen, hilft mir, den Wert der Dinge wirklich zu berücksichtigen.

Tuan Anh Le, 35, hat das Studium an der Ecole Photo EFET in Paris mit Auszeichnung abgeschlossen. Er war Kreativdirektor, freiberuflicher Fotograf und Lehrer für Fotografie und hat sein eigenes Studio gegründet. Seine Arbeiten erscheinen in internationalen Zeitschriften wie „Elle“, „Harper’s Bazaar“, „Dep“ und „Citizen K“. Zu seinen kommerziellen Kunden zählen Toyota, Lexus, Audi und Samsung. Seine Serie Der Fremde wurde 2018 in einer Einzelausstellung im Deutschen Haus in Ho-Chi-Minh-Stadt präsentiert.

Wenn Sie weitere Arbeiten des Fotografen sehen wollen, besuchen Sie seine Website.

 

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