Anhand unseres Umgangs mit Wasser – ohne das Leben unmöglich wäre – untersucht Mustafah Abdulaziz, Gewinner des Leica Oskar Barnack Award 2019, unsere Interaktion mit der Natur auf elementarer, hedonistischer und religiöser Ebene. Mit seiner metaphorisch verdichteten Serie zeigt er von subtil bis plakativ die bedrohliche Abhängigkeit von der Versorgung mit dem essenziellen Nass.

Was möchten Sie mit Ihrem Langzeitprojekt Water erzählen? Sie beschäftigen sich bereits seit 2012 mit dem Thema.

Water ist ein Langzeitprojekt darüber, wie Menschen mit der Natur interagieren und was das für unsere Zivilisation und unsere Zukunft bedeutet. In diesem Sinne ist es mein erstes Vorhaben von einer solchen Größenordnung.

Wie sind Sie auf die Idee für das ProjektWater gekommen?

Die Idee zu Water kam mir in einer Phase meines Lebens, in der ich plötzlich unglaublich viel Entscheidungsfreiheit hatte und neue Erfahrungen machte. Ich war nach Berlin gezogen, ohne dort jemals zuvor gewesen zu sein, und plötzlich konnte ich untertauchen. Ich konnte fotografieren oder auch nicht. Ich konnte tun, was ich wollte, oder es lassen. In diesem Halbvakuum, dieser Pause von der Normalität, war mir völlig klar, was mich interessierte und was meine Fantasie am meisten beflügelte: etwas so Umfangreiches zu machen, etwas so Wahnsinniges, dass es mich erschrecken würde. Ich kehrte zu den Methoden zurück, mit denen ich Fotografie gelernt habe: Ich habe mir die Werke anderer Künstler in Museen und Galerien, Buchhandlungen und Bibliotheken angesehen.

Wie haben Sie die Herangehensweise für dieses kaum fassbare Thema entwickelt?

Ich stellte fest, dass das, wonach ich suchte, eine vereinheitlichende Kraft war, ein Thema, das absolut über alles andere hinausging und das, wenn es so fotografiert wurde, wie ich es mir vorgestellt hatte, im Wesentlichen einen Kommentar zum wichtigsten Thema unseres Jahrhunderts darstellen würde. Die Idee war, Wasser sowohl als Darsteller als auch als Bühne zu fotografieren. Unser Verhalten mit dieser Ressource, die für das Leben auf unserem Planeten von entscheidender Bedeutung ist, wird zu einem Spiegel dafür, wie wir unsere Umwelt behandeln, was wir priorisieren und was wir idealisieren. Wasser ist in der Industrie, in unseren spirituellen und kulturellen Ritualen präsent und vor allem eine Schlüsselkomponente in unserem sich wandelnden Klima.

Die Facetten von Wasser, die Sie metaphorisch darstellen, sind vielfältig. Wasser ist überlebensnotwendig, es wird aber auch zum Spaß, etwa zur Bewässerung von Golfplätzen, verwendet und es gibt auch noch die Bedeutung für die Religion.

Einige meiner Bilder sind sehr symbolisch. Das Leben entstand im Wasser und eroberte dann das Land. Ich mag Symbolik und benutze Metaphern relativ häufig. Ein wiederkehrendes Motiv ist der Singular und die Trinität. In meinen Bildern steckt oft eine Dreifaltigkeit, sie ist ein Symbol dafür, die Welt zu erschaffen und wieder neu zu erschaffen. Für mich muss es für alle Bilder eine Ebene geben: unser Zusammenleben mit der Natur und die Interaktion mit der Natur. Diese gibt es, aber wir legen heute kein Augenmerk mehr darauf.

Was wollen Sie mit der Serie Water erreichen?

Meine Leidenschaft ist es, unser Verhalten zu kommentieren. Was ich mit dem Projekt erreichen möchte, ist letztlich mein eigenes Verlangen. Das heißt nicht, dass die Arbeit dort aufhört, sondern dass die Motivation, sie zu machen, auf die Frage reduziert wurde, was ich als Mensch auf diesem Planeten sehen, machen und produzieren möchte. Dieser Frage folgt die Relevanz dieses Projekts in einem größeren Kontext, in der Gesellschaft, der Bildung und möglicherweise in der Sphäre der Politik.

Was möchten Sie den Zuschauern bewusstmachen?

Ich entscheide mich für diese Arbeit nicht nur, weil sie mir große Erfüllung bringt, sondern weil sie notwendig ist. Unsere Beziehung zum Planeten ist vielleicht die wichtigste Geschichte unserer Zeit. Ich möchte den Menschen die Kontextskala zur Verfügung stellen, anstatt bloß zu berichten. Fotografie ist das Mittel dafür.

Wie entwickeln Sie ihre Bildsprache? In welcher Weise unterscheidet sich die SerieWater von anderen Projekten, die Sie fotografiert haben?

Meine Methode zur Entwicklung meiner Bildsprache besteht darin, sie als bewussten Akt der Veränderung zu behandeln. Was zu einer Zeit, in einem Land oder zu einem Wasserthema funktioniert, funktioniert möglicherweise nicht für ein anderes. In vielerlei Hinsicht spiegeln meine Entwicklung und die der Arbeit die Kernqualitäten des Wassers selbst wider, nämlich die der ständigen Erneuerung und der zyklischen Transformation.

Es ist bemerkenswert, dass Sie analoge Technik verwendet und auf Film fotografiert haben. Warum?

Der Prozess der Reduktion ist Teil des Spiels. Die analoge Fotografie ähnelt einem Pokerspiel. Man weiß nicht, was kommt, man weiß nicht, wohin es führt, aber man muss ständig Entscheidungen treffen. Man kann Fehler machen, man muss auf Risiko spielen, sonst gibt es nichts zu gewinnen.

Bitte erklären Sie uns, warum Sie Farbe Schwarzweiß und natürliches Licht Kunstlicht vorziehen.

Ich beschäftige mich lieber mit Schwarzweißfotografie, aber ich arbeite fast ausschließlich in Farbe. Es gibt jedoch einige Gründe für diese Wahl, die persönlich den helleren Tönen des Farbspektrums den Vorzug gibt und die direkt von meinem Einfluss durch die Malerei herrührt. In der Malerei trägt Farbe sowohl zur Bereicherung eines Gemäldes als auch zum Ausdruck der Zeit und der Künstler selbst bei. Sie spielt auch eine Rolle für den melancholischen und unvoreingenommenen Effekt, den ich mir beim Betrachter erhoffe – so als ob diese Arbeit aus Ländern auf der ganzen Welt Teil eines gemeinsamen Traums wäre.

Wie möchten Sie dieses Projekt fortschreiben?

Ich arbeite derzeit an drei neuen Kapiteln, die ich noch in diesem Jahr fotografieren möchte. Die unmittelbaren Fragen der Wasserknappheit und des Wasserverbrauchs gehen in den Zusammenhang von Klimawandel und Naturkatastrophen über.

Mustafah Abdulaziz. 1986 in New York geboren, studierte Abdulaziz Publizistik und Politikwissenschaft, schloss das Studium aber nicht ab. Als Fotograf ist er Autodidakt. 2011 zog er nach Berlin, nachdem er als erster Vertragsfotograf für das „Wall Street Journal“ gearbeitet hatte. Sein Langzeitprojekt Water, an dem er seit mehr als acht Jahren arbeitet, wurde von den Vereinten Nationen, WaterAid, WWF, VSCO und Google unterstützt. Veröffentlicht wurde es im „Spiegel“, dem „New Yorker“, in „Time“ und dem „Guardian“. Mehr über seine Fotografie erfahren Sie auf seiner Website und der Website zum Leica Oscar Barnack Award sowie im Magazin zum Award, das am 25. September 2019 erscheint.