Gabriele Micalizzi fotografiert in der Unterwelt von Mailand

In seinem Projekt Malamilano befasst sich Gabriele Micalizzi mit der Unterwelt seiner Heimatstadt Mailand. Er hat die Polizei bei der Verbrechensbekämpfung begleitet und dabei auch die Leica SL2 erprobt. Im Interview spricht er über seine Arbeit, welche Fotografen ihn inspiriert haben und eine Situation, die ihn noch lange beschäftigen wird.

Mit welcher Idee sind Sie an Ihr Projekt – die Arbeit der Polizei in Mailand zu dokumentieren – herangegangen? Meine erste Idee war es, über das Thema Terrorismus zu arbeiten. Ich wollte die Präventivmaßnahmen zeigen, die große, westliche Städte wie Mailand heutzutage ergreifen müssen.

Wie lange arbeiten Sie schon an diesem Projekt? Seit Juli 2019 hat Malamilano etwa zwei Monate in Anspruch genommen, aber ich werde das Projekt fortsetzen und weitere Aspekte beleuchten.

Welche Atmosphäre herrscht in Mailand und was charakterisiert die Arbeit der Polizei? Ich habe bei der Arbeit mit der Polizei gelernt, dass das Wort immer die stärkste Waffe ist. Viele Situationen lassen sich im Dialog lösen und dadurch, dass man den Menschen zuhört. In einer so geschäftigen und chaotischen Stadt wie Mailand sind das sehr oft einsame, insbesondere ältere Menschen, die auf Hilfe angewiesen sind.

Was war das Schwierigste an Malamilano? Gab es Situationen, die Sie einfach nicht fotografieren konnten oder wollten? Es gab Situationen, in denen ich mich nicht wohl fühlte und ich wollte nicht die Würde oder die Intimität der Menschen verletzen. Ich versuche, meine Stellung nicht auszunutzen.

Gab es eine Situation, die Sie bestimmt nie wieder vergessen werden? Ja, die gab es. In einer Nacht rief mich die Polizeiwache an und informierte mich, dass in Rogoredo, einem Außenbezirk, ein Mädchen um Hilfe schrie. Als wir sie fanden, lag sie auf dem Boden und weinte verzweifelt. Sie war geschlagen worden und wollte nicht reden. Nach einer Weile entdeckten wir, dass sie minderjährig – erst 17 Jahre alt – und schwanger war. Sie war aus einem Heim geflohen, in dem sie ohne ihre Eltern lebte. Das Gefühl der Ohnmacht, die Person, die sie angegriffen hatte, nicht festnehmen zu können und das Trauma eines Mädchens, das schon als Zwölfjährige heroinabhängig war, ließ mich an meine Töchter denken.

Sie haben viel in Krisen- und Konfliktregionen fotografiert. Was haben Sie all die Auseinandersetzungen gelehrt? Die Arbeit in Kriegsgebieten konfrontiert uns mit Situationen, die komplett anders sind als das, was unser alltägliches Leben ausmacht. In diesen Situationen entstehen tiefe, starke Verbindungen zu den Menschen. Man könnte sagen, dass Krieg sehr genau zeigt, wer man ist und wie schön Solidarität unter Menschen in Not sein kann. Trotz der Dramen und Tragödien, die sie erleben, versuchen sie immer, das Wenige, was sie haben, mit anderen Unglücklichen zu teilen – sogar mit uns, den Journalisten.

Wie haben Sie die Welt der Leica Kameras entdeckt? Als ich mit der Fotografie begann, benutzte ich Kameras, die versuchten, die Leistung von Leica Kameras nachzuahmen. Die große Veränderung kam 2016, als ich am europäischen „Master of Photography“-Wettbewerb teilnahm und den ersten Platz belegte. Ich kaufte mir die Leica Kameras, die ich während der Show benutzte und konnte endlich die Aufnahmen machen, die ich vorher nicht realisieren konnte: eine sehr schnelle Abfolge von Aufnahmen aus einem Panzer in Libyen, nächtliche Stimmungen oder Trauerfeierlichkeiten in Gaza bei greller Mittagssonne. Dank der Vielseitigkeit dieser unglaublichen Kameras konnte ich all diese schwierigen Situationen einfach bewältigen.

Sie haben zuerst mit der SL gearbeitet und sind jetzt zur neuen Leica SL2 gewechselt. Worin liegen die größten Unterschiede zwischen beiden Kameras? Die Handhabung SL2 ist viel ergonomischer. Das ist besonders für mich gut, weil ich ein Fingerglied verloren habe. Ich schätze auch die große Geschwindigkeit und die erstaunlichen Farbtöne bei schlechten Lichtverhältnissen – damals habe ich hauptsächlich nachts fotografiert –, aber auch bei hellem Licht. Ich habe das Summilux-SL 1:1.4/50 ASPH. an der SL2 verwendet und die Rohdaten waren erstaunlich.

Wer hat den größten Einfluss auf Ihre Fotografie? In meiner fünfjährigen Zusammenarbeit mit Alex Majoli habe ich viele Magnum-Fotografen kennengelernt. Auf meinen Reisen durch Konflikte und Revolutionen traf ich diejenigen, die heute meine Bezugspunkte sind: Luke DeLay, James Nachtwey, Jan Van der Stock, Jérôme Sessini und Moises Saman.

Gabriele Micalizzi. Nach dem Studium der Bildenden Kunst begann Micalizzi seine fotografische Karriere bei der Agentur NewPress in Mailand. Seit 2008 dokumentiert der Mailänder Fotojournalist Italien in all seinen gesellschaftlichen Facetten. Seit 2011 berichtet er auch aus dem Nahen Osten. Seine Arbeiten erschien in zahlreichen internationalen Publikationen wie dem „New York Times Magazine“, „Stern“ und „Newsweek“. Erfahren Sie mehr über Gabriele Micalizzi auf seiner Website, bei Instagram und ab dem 16. Dezember in der LFI 1/20.

Leica SL2

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