Nordkorea verändert sich – langsam und nahezu unmerklich. Es bleibt der Eindruck eines extrem isolierten Landes, das viele mit Vorurteilen betrachten. Xiomara Bender hat das hermetisch abgeriegelte Land in den letzten Jahren kennengelernt wie kaum eine andere westliche Fotografin. Zuletzt besuchte sie Nordkorea im September 2019 anlässlich des 71. Jahrestags der Staatsgründung. Im Gepäck hatte sie die Leica SL2. Wir sprachen mit ihr über ihre Reisen.

Welche Erfahrungen haben Sie bei Ihrem letzten Besuch in Nordkorea gemacht?

Es war eine sehr intensive Reise. Ich war zwölf Tage dort, habe aber nur drei in der Hauptstadt Pjöngjang verbracht.

Sie haben langjährige Nordkorea-Erfahrungen, konnten Sie die „schmalen Sehschlitze“ in der Propagandamauer, von denen der Autor Dr. Stefan Grüll in Ihrem Buch North Korea. The Power Of Dreams gesprochen hat, ausweiten?

Ja, jedes Jahr ein Stückchen mehr, was vielleicht auch an dem Vertrauen der Menschen liegt mit denen ich dort zusammenarbeite, denn ich kenne sie nun bald zehn Jahre. Aber wir wissen alle: Wirklich alleine und unbeobachtet bewegt man sich als Tourist niemals. Mit dem neuen Machthaber Kim Jong Un hat jedoch spürbar eine neue Zeitrechnung begonnen. Die Menschen beginnen sich zu emanzipieren. Zaghaft, vorsichtig und zunächst nur wenige. Sicherlich werden es mehr werden. Dass wir davon nichts mitbekommen, liegt an der Abschottung, die das System in bizarrer Perfektion betreibt. Es liegt aber eben auch an uns.

Sie kennen die Regeln bereits, die für einen Besuch und die Möglichkeiten gelten, dort zu fotografieren. War es bei Ihrem letzten Besuch einfacher oder schwieriger dort zu arbeiten?

Es liegt immer ein wenig daran welche Touristenführer mich begleiten. Es sind nicht immer dieselben, denn wirkliche „Freundschaften“ und „Beziehungen“ zu westlichen Besuchern sollten vermieden werden. Nach so vielen Reisen lässt sich das nicht immer verhindern und die guten Kontakte zur Agentur sind hilfreich. Ich denke, es gibt keinen Guide in Nordkorea, der mich nicht kennt oder zumindest von mir gehört hat. Ich höre dazu auch immer wiedermal amüsante Witze, denn ich bin, wie sie sagen, Segen und Fluch zugleich. Diejenigen, die mich seit Jahren kennen, verstehen immer mehr, was ich einzufangen versuche und sie helfen mir dabei. Ich habe eine ganz gute Vorstellung davon, wie sich das Alltagsleben vielerorts verhält, und trotzdem bekommt man es nicht wirklich zu sehen. Bei aller Freundlichkeit und der zunehmenden Buntheit des Landes: Es handelt sich noch immer um eine ideologisch fundierte Ein-Parteien-Diktatur mit Führerkult und der Verfolgung politisch Andersdenkender, ohne Reise- oder Pressefreiheit. Ich finde es falsch, Nordkorea nur auf diesen Aspekt zu reduzieren; es wäre aber ebenso fatal, darüber hinwegzusehen.

Wie hat sich das Land aus Ihrer Sicht in den letzten Jahren verändert?

Nordkorea ist nicht wiederzuerkennen seit meinem ersten Besuch 2011. Das Stadtbild wird immer moderner, Menschen kleiden sich individueller, Handys und Verkehr sind schon lange keine Seltenheit mehr. Die Freiheiten sind allerdings nicht wirklich größer geworden, aber die Versorgungslage ist besser, die Hungerjahre liegen lange zurück, in den Städten hat sich eine veritable Mittelschicht entwickelt. Freizeit-, Sport- und Lehreinrichtungen, freilich vorerst nur einem privilegierten Teil der städtischen Bevölkerungen zugänglich, lassen eine zart aufkeimende Selbstbestimmung erkennen. Neben dem schon bestehenden Skiresort Masik-Ryong lässt Kim Jong Un derzeit ein zweites „Davos“ erbauen. Es soll in ein bis zwei Jahren fertig gestellt sein.

Die Leica SL 2 ist nicht gerade unscheinbar – wie haben die Menschen auf die Kamera reagiert?

Im Zuge dieser langsamen Veränderung ist die Leica SL2 natürlich auch dort ein Hingucker. Sie sehen die edle Verarbeitung und das geräuschlose Auslösen verwundert und erfreut zugleich. Ich gebe meine Kamera ungern aus der Hand, dort ist es mir allerdings eine große Freude. Einige Porträts von mir haben Nordkoreanerinnen und Nordkoreaner gemacht. Es ist ein Zusammenspiel aus sich langsam verändernden sozialen Strukturen und meiner Kamera als Kommunikationsmittel, die mich nun nicht mehr nur nonverbal unterstützt.

Haben Sie sich bei diesem Besuch auf ein neues Thema konzentriert?

Ich bleibe immer auf der Suche nach dem Individuum, im Unterschied zum Kollektiv, das wir alle kennen. Bei meinem Herzensprojekt North Korea. The Power Of Dreams ist es mir wichtig, mit den Fotografien das Maß an Nähe zu den in ihrem Alltag porträtierten Menschen zu vermitteln, das bei den Betrachtern von Empathie getragene Neugierde weckt. Ich denke, nur wo Anonymität beseitigt ist, kann Empathie entstehen. Wer empfindet, ist weniger empfänglich für die Vorurteile, die bei uns noch immer das Bild über Nordkorea bestimmen. Die Welt ist nicht schwarzweiß, auch nicht in Nordkorea.

Der Mensch steht also im Mittelpunkt Ihrer Fotografie?

Die Menschen auf meinen Fotos sind Botschafter und Projektionsfläche zugleich. Die Bilder sollen inspirieren, sich auf das Fremde einzulassen und motivieren, die interpretierende Auseinandersetzung mit den Fotografien zu wagen, um ein eigenes Bild entstehen zu lassen: Der Schritt aus dem Bild und über das Bild hinaus. Mensch und System fungieren auf zwischenmenschlicher Ebene und im Alltag im Zuge der langsamen Modernisierung nicht mehr immer ganz kongruent und so ist es eine große Freude die „Grenzen“ durch lächelnde oder zugewandte Gesichter zu überwinden. Mit einem einfachen Lächeln, aufrichtiger Neugierde und vor allem nicht belehrender Arroganz ist fast alles möglich. Ich denke, man sieht meinen Fotografien an, dass sie ausschließlich mit dem Einverständnis der Porträtierten entstanden sind. Meine Empathie bei der Aufnahme, die fotografisch eingefangene Gefühlswelt der Porträtierten und der emotionale Erfahrungshorizont müssen sichtbar und auf Augenhöhe sein, denn der Blick in die Gesichter ist unter den obwaltenden Bedingungen der mutmaßlich einzige Weg, in diesem Land tatsächlich Veränderung erkennen und über die Jahre weiterhin als Prozess dokumentieren zu können.

 

Xiomara Bender wurde 1987 in Basel geboren. Nach einem Aufenthalt in Indien und dem Schulabschluss besuchte Bender die Technische Kunsthochschule in Berlin. Seit ihrem Abschluss ist sie als freie Fotografin tätig. 2016 erschien im Kehrer Verlag ihr Buch North Korea. The Power of Dreams, mit dem sie den Deutschen Fotobuchpreis 2018 der Hochschule der Medien in Silber gewann. Die Serie wurde in zahlreichen Galerien gezeigt. Ihre Arbeiten erschienen unter anderem im „Stern“ und in der „Zeit“. Derzeit arbeitet Bender an einem neuen Buch über Nordkorea.

Leica SL2

Es ist Ihre Entscheidung.