Die Autoren sind selbst Dozenten der Leica Akademie. Wir sprachen mit Ihnen feste Arbeitsroutinen, wie man sie ändert und über den „Spirit der Leica Akademie“.

Am 20. März ist Ihr Buch „Inspiration Leica Akademie“ erschienen, das in Zusammenarbeit mit den weltweiten Leica Akademien entstanden ist. Woher kam die Idee zu diesem Projekt?
Die Planung für dieses Buch hat bereits Mitte 2018 begonnen. Damals haben wir in einem Gespräch beim Rheinwerk Verlag in Bonn die Idee entwickelt. In den darauffolgenden Wochen haben wir dann das Konzept ausgearbeitet und zahlreiche Gespräche geführt – unter anderem mit Karin Rehn-Kaufmann, Oliver Richter (Leica Akademie Deutschland) und Udo Zell (Leica Akademie). Die Arbeit an diesem Buch war insofern sehr zeitintensiv, weil wir den Kontakt zu über 80 Fotografen – allesamt Dozenten an einer Leica Akademie – weltweit aufnehmen mussten. Wir hatten zwar vorher schon Inhalt, Struktur und die fotografischen Themen festgelegt, wussten in der anfänglichen Projektphase aber noch nicht genau, welches Bildmaterial uns zur Verfügung stehen würde. Das nächste Jahr war dann geprägt vom intensiven Austausch mit den Kollegen der einzelnen Leica Akademien, der Sichtung der zur Verfügung gestellten Portfolios sowie der Arbeit an den einzelnen Kapiteltexten.

Das Buch zeichnet sich durch angenehm kurze Essays aus vielen unterschiedlichen Bereichen der Fotografie aus. Man kann darin stöbern, es von A bis Z am Stück durchlesen oder auch zum Nachschauen und Inspirieren zur Hand nehmen. Was steckte hinter der Entscheidung für diese Form?
Vorab – dieses Buch ist anders als unsere Bücher sonst. Und zwar in zweierlei Hinsicht. Zum einen ist es die Textmenge und Themendichte. Wir wollten ganz bewusst viele sehr unterschiedliche Themenbereiche ansprechen und gleichzeitig die Leser nicht durch zu viele Informationen in ihrer Kreativität ausbremsen. Dadurch kann sich nun jeder Leser ganz individuell seine Themen auswählen und vielleicht sogar als Denkanstoß für eigene Fotoprojekte nutzen. Bei über 80 Anregungen und Impulsen sollte für jeden etwas dabei sein. Der zweite Unterschied zu unseren anderen Büchern liegt darin, dass wir diesmal auf die Verwendung eigener Bilder weitgehend verzichtet haben. Dadurch lassen sich unterschiedliche fotografische Herangehensweisen an ein Thema zeigen. Wir fanden speziell die Vielfalt an verschiedenen Bildern und Genres überaus spannend – zumal wir es auch als sehr wichtig empfinden, immer mal wieder über den eigenen Tellerrand hinauszublicken. Dadurch ist ein Buch entstanden, das nicht nur für Fotografen interessant ist, sondern ebenso für Liebhaber schöner Bilder spannend zu sehen und zu lesen ist – zumal die Texte auch viel zu den Bildern erzählen.

Begriffe wie Wahrnehmung, das Sehen lernen u. ä. spielen in Ihrem Buch eine zentrale Rolle. Warum messen Sie diesen Dingen eine so große Bedeutung zu und nicht beispielsweise der Technik oder Komposition?
Im Grunde ist die Art, wie wir etwas wahrnehmen und sehen, ein ganz entscheidender Faktor für die Qualität der Aufnahmen. Unsere persönliche Wahrnehmung beeinflusst dabei unmittelbar unsere Bilder. Was wir fotografieren, wie wir etwas fotografieren und warum wir überhaupt fotografieren. Und da jeder von uns die Welt individuell erlebt und sieht – geprägt durch seine Persönlichkeit, Interessen und Erfahrungen – werden die entstehenden Bilder dementsprechend anders ausfallen.

Haben Sie da vielleicht ein Beispiel aus der Praxis?
Wir erleben das konkret beispielsweise in Workshops, wenn Teilnehmer bei identischer Aufgabenstellung vollkommen andere Ergebnisse zu Tage fördern. Aber auch in unserer eigenen Zusammenarbeit als Autoren und Fotografen bereichert der unterschiedliche Blick auf Themen, Fragen und Motive die Arbeit ungemein – egal, ob das Ergebnis dann ein Buch oder ein Bild ist. Für uns kommen Wahrnehmung und Sehen daher vor der Technik. Deshalb haben wir auch ein bekanntes Zitat von Henri Cartier-Bresson an den Anfang unseres Buches gestellt: „Das eine Auge des Fotografen schaut weit geöffnet durch den Sucher, das andere, geschlossene, blickt in die eigene Seele.“

Warum finden Sie es wichtig, über diese Grundlagen der Fotografie zu reden und sie in einem Buch zusammenzufassen?
Im täglichen Umgang mit der Fotografie verwenden viele Fotografen die immer gleichen Strategien. Das heißt, sie fotografieren nach festen Mustern und vertrauen auf ihre Routinen. Eine solche Arbeitsweise ist aber nur selten auf Dauer kreativ. Ganz im Gegenteil – denn es entstehen so immer wieder ähnliche Bilder. Ein solches „Fotografieren in der Komfortzone“ mag zwar effizient sein, hindert uns aber daran, uns fotografisch weiterzuentwickeln.

Sie sprechen hier sicherlich aus Ihren Erfahrungen als Workshop-Leiter?
Richtig. Deshalb verwenden wir in den Workshops gezielt Strategien, mit denen sich neue Sicht- und Denkweisen eröffnen. So beschäftigt sich der aktuelle Workshop in der Leica Akademie MasterClass „Wörter zu Bildern“ mit einem spannenden Konzept, um einen neuen Ansatz für kreative Bildideen und Projekte zu entwickeln. In unserem Buch Inspiration Leica Akademie haben wir gezielt viele dieser Möglichkeiten zusammengetragen, um den Lesern neue Ideen, Anregungen oder Strategien zu vermitteln. Jeder dieser Impulse hat die Kraft, feste Muster aufzulösen und das persönliche kreative Potenzial zu befeuern. Die Leser müssen es nur in Verbindung zur eigenen Fotografie bringen und den Mut haben, sich darauf einzulassen. Wer das macht, ist auf einem guten Weg zu einer kreativen Fotografie, zur individuellen fotografischen Handschrift.

Sie sprechen in Ihrem Buch von dem „Spirit der Leica Akademie“. Was meinen Sie damit und was ist in Ihren Augen das Besondere an den Leica Akademien?
Das kann man nicht beschreiben – man sollte es am besten live erleben. Es ist die Stimmung in den Workshops, die Bandbreite an unterschiedlichen Themen sowie die Art und Weise, wie Inhalte vermittelt werden. Man spürt einfach, dass hier viel Erfahrung und Wissen konzentriert vorhanden ist – und das nicht erst seit ein paar Jahren, sondern bereits seit vielen Jahrzehnten. Vor allem sind es aber auch die Trainer und Mitarbeiter der Akademien, die ganz wesentlich zu diesem Spirit beitragen – denn bei aller Kameratechnik, fotografischen Theorie und Praxis steht immer der Mensch im Mittelpunkt. Das merkt man ebenso bei den Teilnehmern, von denen viele „Wiederholungstäter“ sind und immer wieder zu Workshops kommen – oder sich auch abseits der Veranstaltungen zu einem Kaffee im Leitz-Park in Wetzlar treffen. So ist mit den Jahren fast eine Art „Leica Akademie-Familie“ entstanden.

Heidi und Robert Mertens arbeiten gemeinsam an verschiedenen künstlerischen Projekten. Robert hat sich nach einer klassischen Ausbildung zum Fotografen und langjähriger Erfahrung in Fotostudios sowie in der Werbung für eine künstlerische Laufbahn entschieden. Bei Heidi sind es die Bereiche Grafikdesign, Text und Kreativität, die sie schließlich auch beruflich mit der Fotografie verknüpft hat. Aus ihrer Begeisterung für Fotografie und Kreativität sind mittlerweile neben den künstlerischen Projekten und Ausstellungen auch mehrere Bücher zu den Themen Fotografie, Kreativität und Bildsprache entstanden.

Foto: © Christian Jungwirth, Editing Robert Mertens

 

Mehr über die Arbeiten von Heidi und Robert Mertens erfahren Sie auf Ihrer Website, das Programm der Leica Akademie Deutschland finden Sie hier.