Der Leica Oskar Barnack Award ist seit nunmehr 40 Jahren eine der renommiertesten internationalen Auszeichnungen, mit der herausragender Fotojournalismus geehrt wird. Dieses Jubiläumsjahr bietet uns die perfekte Gelegenheit, auf die Geschichte des Preises zurückzublicken: Die in den letzten vier Jahrzehnten ausgezeichneten Fotoserien zeigen nicht nur wichtige Aspekte gesellschaftspolitischer und fotografischer Themen, sondern sind in ihrer Gesamtheit längst zu einem lebendigen Archiv der Geschichte des Fotojournalismus geworden.

Ergänzt durch aktuelle Interviews haben Sie nun die Chance, die Siegesserien neu zu entdecken, etwa die hier vorgestellte Serie der australischen Fotografin Narelle Autio.

Satte Farben, intensives Licht, fröhliche Menschen, blaues Meer, Wolken: Mit ihrer lebendigen Bilderserie vom Strandleben hat die australische Fotografin 2002 den LOBA gewonnen. Die komplexen Kompositionen aus Farbe und Licht sind eine großartige Hommage an die Schönheit der australischen Küstenlandschaft und für die Jury war es die thematisch wie formal überzeugendste Serie zum Wettbewerbsthema vom Verhältnis des Menschen zu seiner Umwelt.

Trotz seiner Größe leben auf dem australischen Kontinent nur rund 20 Millionen Menschen, davon etwa 86 Prozent ganz in der Nähe des Meeres, vornehmlich an der Ostküste. Insgesamt hat Australien eine Küste von rund 36.700 Kilometern Länge, die an den Indischen und Pazifischen Ozean grenzt. Kein Wunder also, dass Wasser und Spaß am Strand ein wichtiger Teil im Leben der Menschen sind. Die australische Fotografin hat sich mit ihrer Serie ganz dem Freizeitvergnügen der Küstenbewohner gewidmet: In farbstarken Aufnahmen feiert sie das Element des Wassers, zeigt intensive Wetterphänomene vor gigantischen Wolkengebilden, manchmal sogar mit leuchtendem Regenbogen. Die Natur und das fantastische australische Wetter bieten immer wieder wunderbare, manchmal auch dramatische Überraschungen. Beste Bedingungen für die Fotografin, um ihre farbigen Bildsinfonien zu gestalten.

„Ich habe immer Inspiration rund um das Wasser gefunden, besonders am Ozean. Die Gewinnerreihe war der Beginn einer größeren Werkserie, den sogenannten ‚Watercolours‘, an dem ich bis heute weitergearbeitet habe.“

Mit ihrer Leica M6 war sie aber nicht nur direkt am Strand unterwegs, sondern mit ihrer Nikonos-Unterwasserkamera begab sie sich mitten hinein in die wogenden Szenerien des Wassers. „Es gibt keinen Horizont unter Wasser, man hört nur das Rauschen, die Menschen bewegen sich anmutig und schön wie in einem Tanztheater“, kommt die Fotografin ins Schwärmen, sobald sie vom Meer erzählt: „Aus allen Richtungen kommen Arme und Beine, man verliert die Orientierung, die Schwerkraft scheint außer Kraft gesetzt und irgendwie sehen die Menschen aus wie kleine Cherubine, wie Engel.“ Die Fotografin ist an der südaustralischen Küste aufgewachsen, sie kennt sich bestens mit dem Meer und den Wetterstimmungen aus: „Der Ozean ist ein Element, zu dem ich immer wieder zurückkehre und ein Ort, an dem ich mich entspannen kann.“

Autio hat immer wieder die unvergleichlichen Momente eingefangen, in denen die Naturgewalten ihre Möglichkeiten entfalten. „Die Serie ‚Küstenbewohner‘, obwohl sie vom australischen Lebensstil handelt, ist auch eine persönliche Geschichte über den Strand, der mich anzieht, die unvorhersehbare Natur des Ozeans und die sich stets ändernde Küstenlinie, die er umgibt“, so die Fotografin. Die sich ständig wandelnden Stimmungen aus Licht, Wind und Wetter, mal gewaltig, mal ruhig, inspirierten sie zu der farbintensiven Serie. Ihre Vorbilder dürfen dabei durchaus in der Malerei früherer Jahrhunderte zu suchen sein, deren satte Sinnlichkeit von Ölgemälden nun eine lebendige Aktualisierung in den Arbeiten der Fotografin gefunden hat.

„Die unkontrollierbare Kraft des Meeres verleiht mir Energie, wie ich sie anderswo noch nie erlebt habe.“

Seit 1998 fotografiert Autio mit einer Leica, bis heute nutzt sie eine M6 für ihre persönliche Arbeiten, außer wenn sie im Wasser ist. Die Fotografin ist die bisher einzige LOBA-Gewinnerin aus Australien. Der Preis bedeutet ihr rückblickend sehr viel: „Er war extrem wichtig, da er meine Entscheidung bestätigte, in Australien zu bleiben und Ideen zu verfolgen, die eine Verlängerung und Reflexion meines damaligen Lebens waren. Meine Leidenschaft war schon immer die natürliche Umwelt, insbesondere das Meer und ich glaube, dass wir alles, was uns umgibt, als selbstverständlich ansehen. Ich denke, es ist wichtig, daran erinnert zu werden, was wir verlieren könnten, wenn wir sorglos bleiben. Es war wunderbar, dass dieses Werk, das die wechselnde Stimmung und das Drama des Alltagslebens in und um den Ozean herum feiert, mit einer solchen Anerkennung belohnt wurde.“ Fragt man sie im Gespräch im Jahr 2020 nach ihren aktuellen Projekten so ist sie sich und ihrem Thema treu geblieben: „Ich bin noch immer am Strand! Ich schließe gerade ein Buchprojekt ab, das noch in diesem Jahr veröffentlicht werden soll.“

 

Narelle Autio wurde 1969 im australischen Adelaide geboren. Nach ihrem Studium der Bildenden Kunst an der University of South Australia startete sie ihre Karriere als Fotojournalistin, arbeitete in ganz Australien, reiste aber auch durch Europa und die USA. Sie ist Gründungsmitglied der unabhängigen Bildagentur Oculi, darüber hinaus wird sie von der französischen Agentur VU’ vertreten. Sie lebt mit ihrem ebenfalls fotografierenden Mann Trent Parke in Adelaide.

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