In seinen Arbeiten beschäftigt sich Cédric Gerbehaye schon seit einiger Zeit mit dem Abbau von Rohstoffen. Nach den Beobachtungen des Fotografen ist die Förderung in den Minen sowohl ein Spiegel als auch ein Hebel der fortschreitenden Globalisierung. Im Jahr 2017 reiste er nach Brasilien in das Bergwerk Vale Grande Carajás, die weltweit größte Abbaustätte für Eisenerz, in dem zusätzlich auch Gold, Mangan, Bauxit, Kupfer und Nickel gewonnen werden. Im Interview erläutert er, warum ihm dieses Thema so wichtig ist und warum er sich auf die ökologischen und sozialen Folgen des Betriebs und nicht auf die Arbeit in den Minen selbst konzentriert.

Was ist Ihre größte Herausforderung beim Fotografieren?
Die Fotografie ist ein Mittel zur Analyse und ein Instrument, das ermöglicht, auch wenn es vielleicht nichts demonstriert, Fragen zu stellen und sich sensibel zu verhalten, wenn man fragt. Es geht immer darum, die richtige Distanz zu finden. Physisch und emotional.

Wie stoßen Sie auf Ihre Projekte?
Ich dokumentiere und recherchiere, indem ich die Presse, literarische und Sachbücher lese, Radio höre und mir Dokumentarfilme anschaue. Ich lege großen Wert darauf, Menschen zu treffen, die sich mit dem Thema oder dem Gebiet auskennen: Forscher, Wissenschaftler, Historiker, Journalisten, Mitarbeiter von NGOs. In der Regel stelle ich meine Fragen vor Ort.

In der Schwarzweiß-Fotografie haben Sie es zur Meisterschaft gebracht, warum haben Sie sich entschieden, die Serie über Vale Grande Carajás in Farbe zu fotografieren?
Ich hege nach wie vor eine Vorliebe für Schwarzweiß. Auf Farbe fällt die Wahl oft wegen der Veröffentlichung in der Presse.

Sie haben an einem Projekt zum Silberbergbau in Potosí gearbeitet und den Lithiumbergbau in Uyuni – zwei bolivianischen Abbaustätten – dokumentiert. Rohstoffförderung und Bergbau scheinen im Moment die Hauptthemen Ihrer Arbeit zu sein.

Vale Grande Carajás, wo ich mich im Jahr 2017 zweimal für jeweils drei Woche aufgehalten habe, stellt ein Kapitel eines umfassenderen Werks dar, das sich mit der Rohstoffförderung in Südamerika befasst. Der Abbau von Mineralien ist wie eine Schatzsuche, bei der die Stärksten nicht vor Gewalt zurückschrecken, um die natürlichen Ressourcen des Planeten zu monopolisieren. Vor einigen Jahrhunderten, als es nur Muskelkraft gab, um Minenschächte zu graben, nach Gold zu schürfen oder Baumwolle und Zuckerrohr anzubauen, ließen Schiffseigner und Siedler Sklaven schuften, die man mit Peitsche und Gewehr in Schach hielt. Heute hat sich die Enteignung der Ressourcen zum Nutzen der Mächtigsten verstärkt.

Der Amazonas-Regenwald wird aus vielen Gründen zerstört und ausgebeutet. Neben Sojabohnen gibt es die Minen. Was wollten Sie zeigen?
Die Förderung von Rohstoffen ist sowohl ein Spiegel als auch ein Hebel der fortschreitenden Globalisierung. Sie schafft Probleme hinsichtlich des Managements und der Kontrolle, aber, noch gravierender, in puncto Gleichheit, Rechte und wer letztlich die gesellschaftlichen Entscheidungen trifft. Die vielen daraus resultierenden Konflikte nehmen verschiedene Formen an und vereinen unterschiedliche gesellschaftliche Kräfte, deren Strukturen weitgehend das Schicksal unseres Planeten bestimmen. Die negativen Auswirkungen des Bergbaus sind nicht nur erheblich, sondern auch unvermeidlich. Sie zerstören die Umwelt, aber auch die Gesellschaft. Sie führen zu Menschenrechtsverletzungen und Konflikten.

In ihren Aufnahmen sehen wir den Alltag der Menschen. Wie kommen sie zurecht?
Das Bergbauunternehmen Vale und seine Subunternehmer ziehen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben, Arbeiter aus der ganzen Region an. Einige leben in Häusern, die zum Programm „Minha casa, minha vida“ (Mein Haus, mein Leben) gehören – dem größten Wohnungsbauprogramm Brasiliens in den letzten 30 Jahren. Die weniger Privilegierten leben in einer der „palafitas“, Pfahlbauten, die illegal über Sümpfen gebaut wurden. Parauapebas ist eine Stadt mit 300.000 Einwohnern, die es vor 30 Jahren noch nicht gab. Die Enttäuschten, die in diesem Eldorado keine Arbeit finden, bleiben dennoch dort und betreiben häufig Landwirtschaft. Para ist der brasilianische Bundesstaat mit den meisten „assatamentos“, Parzellen, die von der Regierung an landlose Bauern vergeben werden.

Es gibt eine große Eisenbahnlinie, die die Minen mit der Küste verbindet. Welche Bedeutung hat sie für die Menschen?
Die 890 km lange Bahnstrecke betreibt Vale. Sie verbindet die Bergwerke in der Region Carajás im Bundesstaat Para mit dem Seeterminal von Ponta da Madeira, Sao Luis, im Bundesstaat Maranhaõ. Auf dieser Strecke verkehrt der längste Zug Lateinamerikas (dreieinhalb Kilometer). Er besteht aus 330 Waggons und seine Hauptfracht besteht aus Eisenerz; es gibt aber auch einen privaten Personenzug. Die Flotte besteht aus 220 Lokomotiven und 20.000 Waggons. 15 Erzzüge fahren täglich durch 27 Dörfer. Einige von ihnen sind Opfer der Umweltverschmutzung durch die Eisen-, Stahl- und Kohleindustrie. Kohle wird gebraucht, um aus Eisen Gusseisen herzustellen, das ebenfalls an die Küste transportiert wird. Im Dezember 2016 weihte Vale die neue Mine S11D ein, die den Bau einer zweiten Eisenbahnlinie erforderlich macht. Das führt zur Vertreibung vieler Familien aus ihren Häusern, um den Bahnverkehr für die steigende Eisenerzproduktion möglich zu machen. Der Rohstoff ist für den asiatischen Markt, hauptsächlich China, bestimmt.

Diese und Ihre früheren Serien zur Rohstoffförderung haben eindeutig politische Untertöne. Sehen Sie das als Teil Ihrer Arbeit als Fotograf?
Ich betrachte die Praxis der Dokumentarfotografie als einen Akt der Verpflichtung, einen Akt des Engagements: Nimm Stellung und versuche, die Implikationen und Wechselwirkungen jeder gegebenen Situation zu erfassen. Entscheide dich für einen Kurs und bleibe ein diskreter und bescheidener Beobachter.

Ihre Bilder werden durch den Moment, Ihr Auge und Ihre Kamera bestimmt. Wie wichtig ist die Postproduktion für Sie?
Sie ist ein Teil der Arbeit, die zum Entstehen der Erzählung beiträgt.

Welche Kamera haben Sie bei dieser Serie verwendet?
Eine Leica Q2. Sie ist das ideale Werkzeug für alle, die Diskretion, Präzision und Qualität wünschen.

An welchen Projekten arbeiten Sie derzeit und was haben Sie in Zukunft vor?
In den Zeiten der Pandemie bin ich in Belgien und schließe Arbeiten für „National Geographic“ ab. Im Anschluss werde ich mich auf meinen Dokumentarfilm über ein Gefängnis in Brüssel konzentrieren.

Cédric Gerbehaye, 1977 in Brüssel geboren, beschäftigt sich mit Konflikten von globaler Tragweite. Er ist Gründungsmitglied der Agentur MAPS und Autor der Bücher „Congo in Limbo“ (2010), „Land of Cush“ (2013), „Sète No 13“ (2013) und „D’entre eux“ (2015). Seine Arbeit hat internationale Anerkennung erfahren, unter anderem durch den Olivier Rebbot Award des Overseas Press Club of America, den World Press Photo und den Amnesty International Media Award. Aufnahmen von Gerbehaye gehören zu den Sammlungen des Museum of Fine Arts, Houston, des Musée de la Photographie, Charleroi, des Maison Européenne de la Photographie, Paris, und des FotoMuseum, Antwerpen. Er ist Mitarbeiter der Zeitschrift „National Geographic“. Erfahren Sie mehr über seine Arbeit auf der Website von MAPS und seinem Instagram-Kanal