Der mexikanische Fotograf hat mit seiner Leica Q-P das Leben im Migrantenlager Matamoros dokumentiert. Das drei Hektar große Lager befindet sich ganz in der Nähe der südtexanischen Stadt Brownsville. Der amerikanische Traum scheint zum Greifen nah, doch zwischen dem Lager und dem sogenannten Land der unbegrenzten Möglichkeiten liegen Welten. Rodríguez’ eindringliche Schwarzweiß-Bilder sprechen nicht nur von Traurigkeit, sondern auch von der Hoffnung auf ein besseres Leben. Hier spricht er über seine Herangehensweise, was er beobachtet hat und welche Botschaft er dem Betrachter zu vermitteln hofft.

Sie sind Dokumentarfotograf und konzentrieren sich besonders auf soziale Themen. Was hat Sie nach Matamoros geführt?
Seit ich einen Grundkurs in Fotografie belegt habe, stehen Menschen im Mittelpunkt meines Interesses. Über die Gründe bin ich mir nicht sicher, vielleicht liegt es daran, dass ich mich wirklich für die Geschichten anderer Menschen interessiere – für die großen Geschichten, aber auch für die, die offensichtlich nicht ganz so groß sind.

Wie sind Sie auf dieses spezielle Lager in Mexiko nahe der Grenze zu den USA gestoßen und woher rührte die Idee, dort eine Geschichte zu machen?
Ich war im Auftrag des „Washington Post Magazine“ dort. Hector Guerrero, ein befreundeter Fotograf hatte meinen Namen an den Herausgeber, Dudley Brooks, weitergegeben. Herr Brooks kontaktierte mich und erzählte mir die Geschichte. Verfasst hat sie die Reporterin Emily Kaplan, die ich dann bei einem Besuch im Lager vom 12. bis zum 16. Februar begleitete. Sie war auf das Thema gestoßen und war bereits zuvor im Lager gewesen, wo sie schon eine Menge Leute kannte.

Planen Sie selbst einen weiteren Besuch?
Ja, im Herbst, wenn es die Corona-Pandemie erlaubt. Ich habe ein Stipendium von The Ground Truth Project erhalten, um die Menschen im Lager und ihre Geschichten weiter zu dokumentieren.

Wie ist es Ihnen gelungen, Zugang zu privaten Situationen, etwa dem Familienleben im Lager, zu finden?
Manchmal hatte Emily bereits mit den Leuten gesprochen und ihnen gesagt, was wir planten; als ich ankam, waren sie einverstanden, dass ich sie fotografiere. Manchmal ging es darum, dass sie sich in einem bestimmten Moment öffneten und uns akzeptierten: Es waren wirklich nicht wir, die „Zugang“ erhielten, sondern die Menschen ließen uns dort sein und vertrauten uns, dass wir ihre Geschichten objektiv dokumentieren.

Was ist nach Ihren Beobachtungen das wichtigste, was sich über die Menschen sagen lässt, die unter diesen Bedingungen leben?
Ich kann mir nur vorstellen, wie extrem hart das Leben im Lager tatsächlich sein muss … Trotzdem versuchen die Menschen, positiv zu bleiben, sie sind selbst organisiert, sie haben Aufgaben und von Zeit zu Zeit versuchen sie, befreiende Momente wie die Quinceañera-Feier, die Feier des 15. Geburtstags der Mädchen, zu erleben. Solche Momente lenken sie vielleicht ein wenig von dem ab, was sie gerade erleben.

Waren Sie im Lager immer mit der Kamera unterwegs?
Ja, die meiste Zeit, das heißt aber nicht, dass ich nicht nachdenke, bevor ich fotografiere. Manchmal glaube ich, dass Fotografen kleine Blicke in die Zukunft werfen können: Wenn wir gute Beobachter sind, ahnen wir Dinge, bevor sie geschehen. Manchmal bedeutet das, dass wir stundenlang an einem Ort bleiben und darauf warten, dass sich die Dinge ereignen, die wir erwarten. Bei Projekten wie diesem, bei denen nur wenig Zeit zum Fotografieren zur Verfügung steht, kann es zu schnellen Interaktionen kommen, deshalb glaube ich, dass die ersten Minuten wichtig sind.

Was ist für die Sie größte Herausforderung beim Fotografieren?
Die größte Herausforderung sind wohl die ersten Momente der Interaktion mit den Menschen sein, die ich fotografieren möchte. Ich muss eine Art Beziehung aufbauen. Das kann nur eine Minute dauern, aber auch Tage. Manchmal reicht ein „Hallo“ oder ein Lächeln.

Wie finden Sie Ihre Themen?
Ich suche nach Dingen, die meine Aufmerksamkeit erregen, die mich interessieren. Wenn ich mehr wissen will, schaue ich selbst nach.

Warum fotografieren Sie lieber in Schwarzweiß als in Farbe?
Schwarzweiß-Fotos habe ich schon immer gemocht. Als ich meinen Grundkurs in Fotografie absolvierte, haben wir mit Schwarzweiß-Film angefangen, vielleicht ist das ein Grund. Sonst gibt es keine bestimmte Antwort, außer dass ich Schwarzweiß-Aufnahmen liebe.

Warum bevorzugen Sie natürliches Licht?
Ich benutze keinen Blitz. Ich habe zwar einen, und manchmal nehme ich ihn auch mit und sage mir: Nimm ihn, erforsche und experimentiere damit, aber ich tue es nie. Manchmal würde ich gerne experimenteller sein und neue Dinge ausprobieren, aber das ist mir noch nicht gelungen.

Was wollen Sie mit dem Projekt Matamoros erreichen? Welche Botschaft möchten Sie vermitteln?
Ich möchte, dass man versteht, was Menschen, die aus ihrer Heimat emigrieren, durchmachen müssen, um vielleicht eine Chance auf ein besseres Leben zu haben. Menschen, die auswandern, haben die Hoffnung, dass das Leben am Zielort besser sein wird, aber der Weg dorthin ist für die meisten von ihnen sehr schwierig. Selbst wenn sie sich im Lager befinden, leiden, kämpfen, ihre Lieben vermissen und Angst haben, haben sie immer noch die Hoffnung auf ein besseres Leben. Ich möchte, dass die Betrachter erkennen, dass diese Menschen die Qualität eines besseren Lebens suchen, genau wie wir alle. Ich möchte, dass die Betrachter eine Beziehung zu ihnen aufbauen, sie zum Nachdenken und Fragen anregen.

Seines Jobs in einer Schokoladenfabrik überdrüssig, wandte sich der gebürtige Mexikaner César Rodríguez 2013 der Fotografie zu – eine Entscheidung, die sein Leben veränderte. Nachdem er ein Jahr lang Fotografie studiert hatte, begann er an Projekten zu arbeiten, die die Geschichten seiner Mitmenschen erzählen. Sein Ziel ist es, denen eine Stimme zu geben, die allzu oft von der Gesellschaft übersehen werden. Erfahren Sie mehr über César Rodriguez’ Fotografie auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.