Der Fotograf Pierre Belhassen definiert sich selbst als Autor. Die Straße, die Außenwelt im weiteren Sinne, ist für ihn ein offener Spielplatz, auf dem er seine Ausdrucksmöglichkeiten findet. Seine Fotografie will nicht die Realität dokumentieren, sondern Menschen beobachten, wobei er sich auf den eigenen Instinkt verlässt. Belhassen liebt es, zu beobachten und zu erkunden und dabei die Zeit aus den Augen zu verlieren.

Wie sind Sie Fotograf geworden?
Eines Tages gab mir jemand eine Kamera und die Sache war völlig klar: Ich erkannte sofort das Potenzial dieses Werkzeugs. Mit der Fotografie ging es nicht mehr darum, die Welt um mich herum darzustellen, sondern meine eigene zu erfinden. Noch heute erkunde ich ihre Möglichkeiten.

Als Fotograf verstehen Sie sich als Autor. Was heißt das?
Ich bezeichne mich als Autor, weil der Begriff meinen Ansatz aus meiner Sicht am genauesten beschreibt. Meine Arbeit beruht auf einer bestimmten Vision, die Emotionen in der Erzählung den Vorrang einräumt. Wenn ich fotografiere, versuche ich, das Reale und Banale zu interpretieren, um es in reine Emotion zu verwandeln. Dann stelle ich Bilder zusammen, um diese Emotionen in den Rahmen einer umfassenderen Idee zu stellen. So betrachtet ist meine Herangehensweise der eines Schriftstellers oder Musikers sehr ähnlich: Der eine sucht die Harmonie der Worte, der andere die der Töne – bei mir sind es Bilder.

Sehen Sie sich auch als Street Photographer?
Nein, ich ziehe den Begriff Autor vor, weil ich die Möglichkeiten, die mir die Fotografie bietet, nicht einschränken möchte. Andererseits stimmt es, dass viele meiner Bilder in einem Kontext entstanden sind, der für die Street Photography typisch ist, einem Kontext, in dem das Motiv, die Szene und das Setting nicht kontrolliert werden. Ich arbeite gerne auf diese Weise, denn diese Freiheit bringt das spontane Element in meine Aufnahmen. Es ist wie ein Traum – die visuellen Objekte sind in stetem Fluss, ich muss sich damit auseinandersetzen, und das Bild und die Geschichte finden.

Was erregt Ihre Aufmerksamkeit?
Licht und Farbe, was übrigens das Gleiche ist. Dann ein Ort im weitesten Sinne des Wortes – ein Land, eine Stadt, ein Stadtviertel oder nur ein einfaches Hotelzimmer. Und schließlich die Körper, die sich durch ihre Bewegungen offenbaren, die Widerspiegelung von Emotionen. Ich versuche, all diese Elemente in einem Bild zu vereinen.

Wie finden Sie den entscheidenden Moment?
Ich glaube nicht, dass ich derjenige bin, der den entscheidenden Moment findet, sondern er findet mich: Ich muss nur bereit sein. Oder wie Pasteur zu sagen pflegte: „Der Zufall begünstigt nur den vorbereiteten Geist.“ Ich denke, man muss aufrichtig an das glauben, was man tut, viel unterwegs sein und dabei immer bereit, den Moment willkommen zu heißen.

Was ist für Sie wichtiger: Komposition oder Farbe? Wie verwenden Sie Farbe als Ausdrucksmittel?
Bevor ich mich der Farbfotografie genähert habe, hatte ich hauptsächlich in Schwarzweiß fotografiert. Damals war für mich die Komposition das wesentliche und grundlegende Element. Als ich mit Farbe experimentierte, verstand ich, dass auch sie das Bild stark beeinflusst und sein Gleichgewicht verändert. So lernte ich, mit Komposition und Farbe gleichzeitig zu spielen. Die Rolle der Farbe ist in meinen Bildern extrem wichtig. Jede Farbe besitzt ihre eigene Empfindungskraft – das Angebot ist riesig, eine unendliche Anzahl von Möglichkeiten, Emotionen zu erzeugen.

Welche Kameras verwenden Sie?
Ich habe lange Zeit mit einer Leica M7 gearbeitet, jetzt arbeite ich hauptsächlich mit einer M (Typ 240), immer mit demselben Summicron-M 1:2/35. Demnächst werde ich hoffentlich mit einer Leica M10 arbeiten, die ich bald testen kann. Die M ist für mich das ideale Werkzeug oder eher noch Instrument als Werkzeug. Ich habe eine Beziehung zu der Kamera aufgebaut wie ein Musiker zu seinem Instrument.

Gibt es zukünftige Projekte, über die Sie sprechen möchten?
Ich arbeite derzeit an meiner ersten Monografie und hoffe, dass ich bald die Gelegenheit haben werde, um sie Ihnen vorzustellen!

Pierre Belhassen lebt in Marseille, Frankreich. Er arbeitet bevorzugt an langfristigen Projekten und erzählt seine Geschichten in Fotobüchern, Ausstellungen und andere Medien. Er hält es für außergewöhnlich, die Möglichkeit zu haben, die durch eine lange Lehrzeit auferlegten Grenzen zu überwinden, um seiner Kreativität Ausdruck zu verleihen. Seine Arbeiten erschien unter anderem in der Zeitschrift für Leica-Fotografie „M“, der Fotojournalismus-Zeitschrift „Epic Stories“, der „LFI“, „Better Photography“ und „Courrier International“. Seine Arbeiten wurden bei den Festivals FotoIstanbul (2015) und Voies Off (Arles 2016) gezeigt. Belhassen war Finalist bei den LensCulture Street Photography Awards 2016 und belegte den zweiten Platz beim Miami Street Photography Festival 2019. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Pierre Belhassen auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.

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