Mit Pinzette, Handschuhen und der Leica SL2 setzt Florian W. Müller kleine Insekten ganz groß in Szene. Psychedelische, technisch perfekte Aufnahmen sind das Ergebnis, die ein völlig neues Licht auf die Makrofotografie werfen.

Aus welchem Genre der Fotografie kommen Sie ursprünglich? Wie sieht Ihre fotografische Praxis üblicherweise aus?
Als künstlerischer Fotograf arbeite ich viel mit Formen und abstrakten Kompositionen wie Mehrfachbelichtungen oder Verfremdungen. Im weitesten Sinne kommt viel Still-Life- und Objektfotografie vor, aber ebenso auch Architektur und Landschaft. Als werblicher oder gebuchter Fotograf tauchen dann auch immer wieder Menschen vor meinem Objektiv auf, sei es für Porträts oder Unternehmensdarstellungen. Außerdem Autos. Hier habe ich das große Glück, dass mir, aufgrund der künstlerischen Arbeiten, oft freie Hand gelassen wird oder sogar künstlerische Techniken genutzt werden können. Für und mit Porsche China habe ich zum Beispiel Dreifach-Belichtungen der Fahrzeuge in unterschiedlichen urbanen Settings umgesetzt.

Was hat Sie inspiriert, ein Fotoprojekt mit Insekten umzusetzen?
Seit meiner Kindheit bin ich fasziniert von Insekten. Mein Vater war ein großer Naturfreund und -kenner, das habe ich von ihm. Es ist eine kleine, bizarre, aber sehr schöne Welt, die sich einem offenbart, wenn man nur genau hinschaut, finde ich. Diese Welt wollte ich schon länger zeigen, habe bereits vor Jahren angefangen Exponate zu kaufen und zu fotografieren. Das war auf Dauer aber zu kostenintensiv und behalten wollte ich die Präparate auch nicht, nur fotografieren.

Wie sind Sie schließlich an die Tiere gekommen?
Letztes Jahr kam es zu einer sehr erfreulichen Zusammenarbeit mit dem naturkundlichen Senckenberg Museum in Frankfurt. Dadurch erhielt ich Kontakt zum Senckenberg Deutschen Entomologischen Institut. Der dortige Leiter hat schnell und unkompliziert nach meiner Anfrage zugesagt. Vor Ort bekam ich dann eine Technische Mitarbeiterin zur Seite gestellt, die mir sehr geholfen hat, aus der gigantischen Sammlung passende Exponate herauszusuchen, meine Fragen beantwortet und mich unterstützt hat. Ich konnte dort ein kleines Studio aufbauen und habe in Summe drei Tage dort gearbeitet, was ich sehr genossen habe.

Wie lief der Prozess des Fotografierens genau ab?
Das kleine Fotostudio bestand aus einer selbst gebauten Table-Top-Hohlkehle und zwei LED-Dauerleuchten. Damit die Tiere möglichst wenig angefasst werden mussten und frei schweben konnten, habe ich mir eine Art Podest aus Kork und einem Magnet-System gebaut. So brauchte ich nachher auch so gut wie nicht mehr freizustellen.

Welches Equipment haben Sie verwendet?
Fotografiert habe ich mit einer Leica SL2 und dem APO-Macro-Summarit-S 1:2.5/120 (CS) mit Adapter für die SL2. Die finalen Bilder habe ich dann mit dem neuen Multishot-Verfahren aufgenommen, was mir 187 Megapixel große Bilder beschert hat. Ich habe bewusst nicht gestackt, da so ein schier nicht zu bewältigendes Datenvolumen aufgelaufen wäre, außerdem wollte ich gezielt Bilder mit Unschärfebereichen, um weniger technisch perfekte als eher porträthafte, stimmungsvolle Bilder zu schaffen.

Megasoma Elephas

Welche Rolle hat die Postproduktion in diesem Projekt gespielt? Auf welche Art und Weise sind diese irisierenden Effekte entstanden?
Eine nicht unbedeutende. Die Käfer changieren selbst häufig in den tollsten Farben. Diese Brillanz geht jedoch im Laufe der Jahre flöten, sie werden etwas stumpfer. Ich habe im Nachgang einiges an Farbe dazugegeben, häufig um die ursprüngliche Farbigkeit zu unterstreichen, manchmal jedoch auch, um einen Effekt zu erzielen, den es so in der Natur nicht gibt. Das führt immer zu unterhaltsamen Gesprächen über die Bilder.

Wie lange dauert es ungefähr, ein solches Foto zu erstellen? Worauf mussten Sie besonders achten?
Es war ein langer Prozess. Die Auswahl der Tiere aus einem unglaublich großen Angebot, das Handling mit Pinzetten und teilweise Handschuhen, das Entfernen von Fusseln unter der Lupe und das vorsichtige Arrangieren im Set. Das Fotografieren selbst geht dann recht zügig, manuelles Scharfstellen, was einem die SL2 sehr erleichtert durch die Vergrößerungsfunktion. Perspektive, Winkel und so weiter werden vorher festgelegt, meistens mache ich keine Varianten. Der Multishot erledigt sich von selbst, hin und wieder habe ich Belichtungs- und Lichtvarianten gemacht, wenn es zu einem ungewollten Lichtreflex auf dem Panzer kam.

Steckt hinter dem Projekt eine Botschaft oder sollte man es rein auf technischer Ebene bewundern?
Ich möchte eigentlich, dass die technische Raffinesse in den Hintergrund rückt. Sie ist da, sie ist die Grundlage für diese Fotos, aber auch ein elegantes Understatement. Ganz Leica eben. Dass die Bilder technisch perfekt sind, ist einfach eine Tatsache. Ich möchte, dass der Betrachter sich mit den Objekten beschäftigt. Fasziniert ist, neugierig wird, den Käfer im eigenen Garten vielleicht anders betrachtet. Die Bilder sollen gern Emotionen wecken, denn das ist die Grundlage dafür, sich mehr als nur oberflächlich mit etwas zu beschäftigen. Von mir aus auch ein anfänglicher Ekel, in der Regel schaut der Betrachter dann aber doch genauer hin und entdeckt Details, die normalerweise verborgen bleiben „Ach das ist das Auge?“ höre ich zum Beispiel öfter. Es gibt einen klaren Aspekt in der Arbeit: Das Insektensterben ist real. Und es ist die traurige Grundlage für eine ganze Verkettung von menschlich verursachten Schieflagen in der Natur. Insekten haben keine große Lobby, sie sind für viele einfach klein und lästig. Ich möchte zeigen, dass sie viel mehr Facetten haben (nicht nur in den Augen) und bizarr schön sein können, dass es wert ist, diese Tiere zu erhalten. Zu erkennen, was es zu erhalten lohnt. Nicht nur lohnt, sondern unabdingbar ist für ein gesundes Gleichgewicht in der Natur.

Sie loten mit dem Projekt die Grenzen der Fotografie aus und lassen sich auch sonst gern auf Experimente ein. Glauben Sie, es gibt im Bereich der Fotografie noch viel Neues zu entdecken?
Es wird immer neue Dinge geben, die es zu entdecken lohnt. Die Welt dreht sich weiter, kein Tag ist wie der andere und technischer Fortschritt oder die Kombination von alten und neuen Techniken erlauben immer neue Ein- und Ausblicke in unterschiedliche Richtungen. Es ist noch längst nicht alles gesehen, geschweige denn fotografiert worden.

Nach verschiedenen Stationen als Stand- und Setfotograf und ersten Aufträgen von Werbeagenturen reifte in Florian W. Müller der Wunsch, eine eigene, unabhängige Form der Fotografie zu entwickeln und zu etablieren. So entstanden im Laufe der Zeit vielschichtige und mehrdeutige Bilder, die geradezu eine Interaktion mit dem Betrachter verlangen. Der Fotograf ist seit 2013 Professional Member des BFF (Berufsverband Freie Fotografen & Filmgestalter e.V.), 2020 wurde er in den Bundesvorstand gewählt. Außerdem ist er Mitglied der britischen AOP (Association of Photographers, London) und wurde bisher viermal mit dem AOP Award ausgezeichnet. Als Werbefotograf ist Müller international tätig. Auch seine freien Arbeiten werden weltweit in Galerien ausgestellt. Außerdem hält er Vorträge über Fotografie und leitete die erste Porsche Photography Masterclass in Malaysia. Erfahren Sie mehr über seine Fotografie auf seiner Website und seinem Instagram-Kanal.