Großartige Art-déco-Gebäude, raffinierte Kinos und das Zischen blank polierter Espressomaschinen in belebten Cafés: Clara Vannucci machte sich mit der Leica Q auf den Weg nach Asmara, um die Spuren der ehemaligen italienischen Kolonialherren zu dokumentieren – sie entdeckte eine Stadt, in der die Zeit stehen geblieben zu sein schien.

Was hat Sie bewogen, Fotografin zu werden?
Vor 18 Jahren entwickelte ich in der Dunkelkammer meines Vaters die ersten Bilder: Ich wollte nie etwas anderes machen. Dort begegnete ich reiner Magie.

Wie kamen Sie auf die Idee die Serie Cinema Impero zu fotografieren?
Ende 2015 entdeckte ich im Haus meiner Großmutter in Florenz eine verstaubte Kiste mit Bildern meines Urgroßvaters aus Ostafrika. Er hieß Gino Guerrini und war einer der vielen Italiener, die in den 1920er-Jahren nach Eritrea gezogen waren. Er war Arzt. Das hat sofort meine Neugier auf ein Land geweckt, über das ich praktisch nichts wusste. Und so begann ich zu forschen. Ich öffnete andere Schachteln und fand weitere Briefe, Postkarten und Fotos aus dem Eritrea jener Zeit. Ich überhäufte meine Großmutter mit Fragen. Um mehr zu erfahren, reiste ich schließlich selbst dorthin. Die meisten Journalisten wurden aus dem Land verbannt, als die Regierung unter Führung von Isaias Afwerki einem Bericht des Menschenrechtsrats der Vereinten Nationen von 2015 zufolge „durch systematische und extreme Misshandlungen der Bevölkerung eine Schreckensherrschaft auferlegt hat“. Aus diesem Grund beschlossen der Dokumentarfilmer Manfredi Lucibello, der mich auf dieser Reise begleitete, und ich, mit einem Touristen- und nicht mit einem Medienvisum zu reisen.

Eritrea ist eines der ärmsten Länder der Welt und wird als hermetisch abgeschlossener Polizeistaat beschrieben. Was haben Sie auf Ihrer Reise erlebt?
Eritrea ist ein Land, das sich sehr stark eingekapselt hat. Es unterhält keine Handels- und Geschäftsbeziehungen zu anderen Ländern. Die ehemalige italienische Kolonie erlangte 1993 nach 50 Jahren der Unruhe die Unabhängigkeit: Die Briten vertrieben 1941 die Italiener, in den 1950er-Jahren annektierte Äthiopien die Region. Da die politische und wirtschaftliche Lage in Eritrea nach wie vor schlecht ist, versuchen junge Eritreer zunehmend, das Land in Richtung Europa zu verlassen. Es gibt nur zwei Stunden am Tag Strom und Wasser. Es gibt keine Arbeitsplätze. Es gibt keine Zukunft.

Dennoch sprechen Ihre Bilder von einer Stadt mit einer freundlichen, authentischen, fast historischen Atmosphäre. Entspricht das der Realität?
Ja, anders ist es in Italien, dort hat die Zeit die Erinnerung an das koloniale Erbe fast vollständig ausgelöscht. Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Italien seine faschistische Vergangenheit einer systematischen Damnatio memoriae (Verdammung der Erinnerung) unterzogen. Das führte zu einer kollektiven Amnesie. Die meisten Italiener erfahren von dieser Geschichte nur sehr oberflächlich etwas in der Schule. Meine Generation weiß wenig darüber. Glücklicherweise hat Italiens Kolonialgeschichte in Asmara überlebt, dort hat das antikoloniale und antifaschistische Ethos im Italien der Nachkriegszeit das Erbe von Sprache und Architektur nicht beeinträchtigt. Die größte italienische Schule außerhalb Italiens – mit rund 1200 Studenten – befindet sich in Asmara. Deshalb sprechen die meisten alten Menschen – und die wenigen jungen Leute, die das Land noch nicht verlassen haben – immer noch fließend Italienisch. Zudem befinden sich die wunderbaren Gebäude noch immer in einem überraschend guten Zustand. Es gibt rund 100 Denkmäler, die an die Kolonialzeit erinnern. Die meisten bewahren ihren ursprünglichen Zweck und das Dekor von vor 80 Jahren. Dazu gehören das Hotel Albergo Italia, der alte Bahnhof und mehrere nostalgische Kinos, die noch immer italienische Filme aus den 1950er-Jahren zeigen.

Wie haben die Menschen auf Sie als Italienerin reagiert?
Wenn ich durch die Straßen von Asmara ging, musste ich meine Kamera oft verstecken. Aber ich merkte bald, dass es mir half, Italienerin zu sein. Die Leute hörten mich italienisch sprechen und kamen sofort zu mir und sprachen mich an und wollten mehr über Italien erfahren. Selbst die Polizei war eher geneigt, ein Auge zuzudrücken, wenn sie meine Nationalität herausfand. Ich hatte die Gelegenheit, Einheimische in Bars zu treffen und ganze Abende mit ihnen zu verbringen, nur um über die guten alten Zeiten der italienischen Kolonie zu plaudern, Espresso zu trinken und Croissants zu essen. Ich fühlte mich wie in einer Zeitkapsel und erkundete ein altes Italien, das ich selbst nie erlebt habe, sondern von dem ich in den Erzählungen aus der Jugend meiner Großmutter und in den Kindheitserinnerungen meiner Eltern gehört hatte. Es war, als wäre ich zu Hause und gleichzeitig sehr weit weg.

Sie haben die Serie im Frühjahr 2016 abgeschlossen. Wie sehen Sie sie jetzt mit dem Abstand von einigen Jahren?
Als ich dort war, hatte ich den Eindruck, die Zeit sei stehen geblieben. Ich verstand schnell, dass Zeit relativ ist, dort drüben mehr als anderswo. In diesem Sinne glaube ich fest daran, dass meine Bilder immer noch sehr aktuell sind.

Was hat Sie auf Ihrer Reise am meisten fasziniert?
Was mich als Fotograf und Mensch am meisten fasziniert hat, war die Dynamik zwischen den Menschen zu sehen: stundenlang in einer Bar zu plaudern, einen Cappuccino zu trinken, ein Croissant zu essen, stundenlang eine Zeitung zu lesen, ohne dass sich das Smartphone meldet, ihre elegante und altmodische Kleidung, die Art, wie sie „Guten Morgen“ sagen, sehr förmlich, aber gleichzeitig auch sehr warm.

Wie nähern Sie sich einem Thema fotografisch?
Instinktiv.

Welche Kamera haben Sie benutzt und wie hat sie funktioniert?
Für dieses Projekt habe ich eine Leica Q verwendet. Jetzt besitze ich auch eine Leica SL mit Vario-Elmarit-SL 1:2.8–4/24–90 ASPH., aber damals war das noch nicht der Fall. Tatsächlich war die Q in der Situation einfach perfekt, denn ich brauchte etwas Kleines und Leises, um nicht aufzufallen.

Was ist die wichtigste Fähigkeit, die ein Fotograf haben sollte?
Ein gutes Auge und an das zu glauben, was er macht und erzählt. Für mich sind Bilder eine Möglichkeit, mit jedem und in jedem Land zu kommunizieren. Deshalb halte ich Fotografie für unersetzlich. Spontaneität und die Form der Reportage sind die beste Art und Weise für mich, die Themen, die ich fotografiere, darzustellen.

Clara Vannucci wurde 1985 in Italien geboren. Bevor Sie ihre fotografische Arbeit mit Themen aus der Strafjustiz aufnahm, studierte sie Architektur. Sie fotografierte unter anderem die Reportage Crime and Redemption in Volterra und ein Projekt über das Frauengefängnis auf Rikers Island im Bundesstaat New York. Neben ihrer Arbeit als Fotografin für Zeitschriften und Zeitungen unterrichtet sie Häftlinge im Mailänder Hochsicherheitsgefängnis in Fotografie. Erfahren Sie mehr über Clara Vanuccis Fotografie auf ihrer Website und in ihrem Instagram-Kanal.

Leica Q

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