Für die italienische Traditionsmarke Ermenegildo Zegna tauchte der Dokumentarfotograf William Daniels in ein ungewöhnliches Projekt ein: Er dokumentierte die Natur im Umfeld der Marke, spürte vielleicht sogar dem Geist des Unternehmens nach. Mit der Oasi Zegna, einem Naturschutzgebiet in der Provinz Biella, Piemont, wollte Unternehmensgründer Ermenegildo Zegna in den 1930er-Jahren nach der Aufbauphase in Trivero ein grünes Denkmal errichten.

Hier spricht William Daniels über den ungewöhnlichen Auftrag und seine Gedanken zur Natur.

Was bedeutet Natur für Sie im Allgemeinen?
Ich habe keine persönliche oder philosophische Definition von Natur. Es ist ein Ort, an dem ich manchmal gern bin und den Frieden spüre.

Als Dokumentarfotograf befassen Sie sich mit vielen humanitäre Krisen und sozialen Themen. Man sieht in Ihren Bildern aber auch viel Landschaft und Natur. Wie nehmen Sie die Natur an den Orten, die Sie fotografieren, wahr?
Ich sehe sie als friedvolle Pause. Wenn das helfen kann, hier ist eine englische Einführung zu meiner letzten Ausstellung und meinem Buch Wilting Point (Welkepunkt), eine persönliche und intime Reflexion über die zerbrechliche und vergängliche menschliche Existenz. Sie kombinierte Bilder, die in Kriegsgebieten – im Nahen Osten, in Kaschmir, der Zentralafrikanischen Republik, in Zentralasien und an der Grenze zwischen Bangladesch und Myanmar – entstanden waren, mit friedlichen Momenten natürlicher Pracht. „In der Botanik bezeichnet der Begriff Welkepunkt den Moment, ab dem der Feuchtigkeitsgehalt des Bodens für das Überleben der Pflanze nicht mehr ausreicht. Die Pflanze verwelkt und stirbt ab, wenn diese lebensfeindlichen Bedingungen andauern. In unserer Welt gibt es andere Bruchstellen, unruhige Zwischenräume, an denen eine enge Verbindung zwischen Leben und Tod besteht. Der Reporter, der die Vision von einer Welt in Bewegung teilt, geht diesen prekären Gleichgewichten nach. Er taucht in das Chaos ein und versucht, es zu begreifen, indem er das Getöse einfängt. Warum haben wir das Gefühl, das bestimmte Länder eine schwere Last tragen? Warum verlassen wir sie mit der Vorstellung, dass der Wurm bereits in der Frucht war, als hätte ihn jemand gefüttert und über die Jahre gemästet? Jetzt ist er hier, um zu bleiben. Kirgisische Revolutionen, Sektenkriege in der Zentralafrikanischen Republik, die Rohingya-Exzesse, Kaschmir, die ehemalige Sowjetunion und so weiter.“

War es für Sie bei dem hier gezeigten Projekt das erste Mal, dass Sie sich ausschließlich auf die Natur konzentriert haben?
Ja, es war das erste Mal, da ich kein Naturfotograf bin. Es war großartig, erfrischend. Ich habe das Gefühl, dass es ein Gleichgewicht zu meinen anderen Projekten in Konfliktgebieten herstellt.

Was hat Sie an der Oasi Zegna fasziniert?
Die Oasi Zegna ist zweifellos ein wunderschöner Ort, ich habe beim Bergsteigen ein paar schöne Nebelschwaden erlebt. Ich war in der Tat fasziniert von den Nadelwäldern, dem Morgennebel, der Aussicht auf den Berg und der Stille.

Zu welcher Tageszeit haben Sie fotografiert?
Ich habe sowohl am späten Nachmittag als auch sehr früh am Morgen gearbeitet, um den Nebel einzufangen.

Was für Gedanken hatten Sie bei der Arbeit für die Marke Zegna?
Um ehrlich zu sein, wusste ich vor diesem Auftrag nicht viel über Zegna, aber da das Thema meines Auftrags ja „Natur“ war, dachte ich, ich sollte mich, sobald ich dort ankam, einfach in die schönen Wälder begeben, um das Gefühl der Natur zu genießen. Am nächsten Tag kletterte ich noch vor Sonnenaufgang auf den Berggipfel und ging dann in den Nadelbaumwald. Die frühen Sonnenstrahlen dringen auf eine so schöne Weise in die „geraden Linien“ der natürlichen Architektur ein! Aber das dauert nicht lange, sodass ich mich beeilen musste, um zu schönen Aufnahmen zu kommen.

Welche Kamera haben Sie bei dieser Serie eingesetzt?
Ich habe die Leica SL2 verwendet. Die Kamera hat mir sehr gut gefallen, ich habe mir kürzlich eine angeschafft. Ich schätze die Qualität der SL-Festbrennweiten und den hochauflösenden Sensor. Ich hatte noch nie mit einer Kamera mit Bildstabilisator gearbeitet, auch das hat mir sehr gut gefallen.

Leica SL2

Es ist Ihre Entscheidung.

Sie scheinen hauptsächlich in Farbe zu arbeiten, warum ist das Ihre Vorliebe? Haben Sie auch schon Schwarzweiß ausprobiert?
Ich habe Schwarzweiß geliebt, als ich mit der Fotografie begann. In jener Zeit war ich stark von der schwarzweißen Dokumentarfotografie von Sebastião Salgado oder Josef Koudelka beeinflusst. Aber es war mühevoll, damit meine Brötchen zu verdienen. Deshalb begann ich mit Farbe, da war es einfacher, Aufträge zu bekommen. Und ich entdeckte, dass ich Farbe wirklich mochte. Mir wurde klar, dass sie hinsichtlich Aussagekraft, Poesie und Lyrik genauso stark sein kann wie die Schwarzweiß-Fotografie.

Woran arbeiten Sie derzeit?
Seit 2018 arbeite ich, unterstützt von der National Geographic Society, an einem weltweiten Projekt zum Thema Staatenlosigkeit. Wegen der Covid-19-Pandemie liegt das Projekt im Moment auf Eis. Ich hoffe sehr, dass ich 2021 weiter daran arbeiten kann.

William Daniels, 1977 in der Normandie geboren, hat sich der Dokumentation verwundbarer Gemeinschaften und von anhaltender Instabilität geplagter Regionen verschrieben. Er ist regelmäßig für „National Geographic“ tätig und er hat zahlreiche Auszeichnungen für seine Arbeiten erhalten, darunter zwei World Press Photo Awards, den Visa d’Or Award, den Tim Hetherington Grant und den Master Award beim Festival of Ethical Photography. Erfahren Sie mehr über William Daniels’ Fotografie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.