Sein Stil: unverwechselbar. Der Hamburger Fotograf hat in den letzten Jahren seinen speziellen Blick auf die Welt perfektioniert. Der städtische Raum ordnet sich bei Siegfried Hansens Streifzügen mit der Leica Q2 durch die Straßen und Metropolen in perfekte Bildkompositionen. Im städtischen Alltag fügt er in seinen Motiven unterschiedliche Linien, Zeichen oder Strukturen mit der Architektur der Gebäude, gern auch mit Brücken oder Plätzen zusammen. Alles scheint sich seiner grafisch-abstrahierenden Sicht anzupassen. Er achtet dabei nicht nur auf Flächen, Form und Farbe, sondern vor allem schafft er es immer wieder, den Betrachter mit seinen skurrilen, manchmal absurden, oft poetischen Stillleben zu verblüffen. Längst ist der Fotograf auch als Workshop-Leiter gefragt. Nun ist ein neuer Bildband erschienen und auch The Flow of the Lines ist fast schon wieder vergriffen. Der Fotograf scheint mit seiner Art der Fotografie genau die passende Stimmung für die durch den Lockdown veränderten städtischen Räume gefunden zu haben. Wir sprachen mit ihm über seinen Blick, seine Erfahrungen und das neue Buch.

Was fasziniert Sie an der Street Photography am meisten?
Die Tatsache, dass man nie weiß, was einen erwartet. Wenn ich hinaus auf die Straße gehe, habe ich ja noch kein bestimmtes Bild im Kopf. Jeder Tag ist neu, ein Ort kann am nächsten Tag durch Licht und Wetter schon wieder ganz anders aussehen. Zwar kann man seine Chancen für ein gutes Street-Motiv mit bestimmten Wahrnehmungs- und Verhaltensmustern erhöhen, aber letztlich erwartet einen an jeder Ecke immer wieder etwas Neues. Das macht die Street Photography für mich so aufregend und spannend.

Worauf sollten Fotografen, die sich in der Street Photography ausprobieren wollen, besonders achten? Welchen Rat geben Sie in Ihren Workshops?
Sehr wichtig ist es für Fotografen, die in den Bereich der Street Photography eintauchen wollen, aktiv zu fotografieren, während sie unterwegs sind. Entscheidend ist, sich bereits im Vorfeld ein Konzept aufzubauen, damit man nicht einfach durch die Gegend läuft und darauf wartet, dass „plötzlich“ das entscheidende Motiv erscheint. Ich habe hierfür ein bestimmtes Tool für meine Workshops entwickelt, welches ich PILOT nenne. Man wird dadurch vom Jäger zum Sammler und kommt über das Sammeln und die entsprechenden Wahrnehmungsänderungen zu den guten Bildern.

Welche Erfahrungen haben Sie selbst in den Workshops gesammelt?
Die Workshop-Teilnehmer haben, nachdem sie mein PILOT-System kennengelernt haben, meistens sofort ihre Wahrnehmung verändert und sind viel aktiver und damit auch produktiver unterwegs. Das hat mir gezeigt, dass vieles in der Fotografie mit der Änderung der alltäglichen Wahrnehmung zu tun hat. Diese Veränderung kann man trainieren. Außerdem ist es sehr inspirierend zu sehen, wie verschieden die Fotografen sind und welches unglaubliche kreative Potenzial es gibt. Das beeindruckt mich immer wieder.

Hat sich Ihre Sicht in den Zeiten des Lockdowns mit leeren Straßen und Innenstädten verändert? Fielen Ihnen jetzt andere Dinge auf oder wurden durch das Fehlen von Menschen hervorgehoben?
Ja, meine Sicht hat sich verändert. Ich habe die außergewöhnliche Situation der leeren Straßen dazu genutzt, um meine Heimatstadt Hamburg mit einer anderen Sicht zu fotografieren. Plötzlich waren andere Dinge sichtbar, so habe ich eine Serie produzieren können, bei der ich Straßenmarkierungen im Vordergrund mit der leeren Straße und einem bekannten Gebäude im Hintergrund verbinden konnte. Inspiriert hat mich dabei der Fotograf Chargesheimer, vor allem sein Buch Köln 5 Uhr 30, das 1970 eine Stadt ohne Menschen zeigte. Beim ersten Lockdown dachte ich noch, dass in ein paar Monaten alles vorbei ist, nun habe ich mir mehr Zeit gelassen.

Wie wichtig ist Ihnen das Equipment?
Ich lege sehr viel Wert auf gutes Equipment, weil es mein Werkzeug ist, um mich kreativ auszudrücken. Seit 2015 fotografiere ich mit der Leica Q und heute mit der Q2. Ihr 28-mm-Weitwinkel eignet sich sehr gut für meine grafischen Raumkompositionen. Durch die fixe Brennweite kann ich mich komplett auf die Motivsuche konzentrieren.

Wünschen Sie sich kameratechnisch noch etwas? Gibt es Optimierungen, die Ihnen fehlen?
Mir persönlich käme bei der Leica Q2 ein Klappdisplay entgegen, da ich dann zusätzlich noch die Möglichkeit hätte, schneller einen anderen Blickwinkel einnehmen zu können. Ebenso die Feststellung des Einstellrads für die Verschlusszeiten, damit sich nichts beim Herausnehmen aus der Tasche versehentlich verstellen kann. Insgesamt hat die Leica Q2 aber in jeder Hinsicht genau die optimale Qualität.

Was ist Ihnen wichtiger: Farbe oder Form? Oder muss einfach beides zusammenspielen?
Die Form und der grafische Ansatz sind für mich in jeder Hinsicht am Wichtigsten, Farbe ist dann das Plus. Da ich auch oft in Schwarzweiß fotografiere, kann ich anhand der Bilder feststellen, dass die Farbe manchmal – nicht immer – das Motiv noch stärker erscheinen lässt. Das habe ich insbesondere bemerkt, als ich eine Zeitlang mit der Leica Q2 Monochrom fotografierte. Das heißt, viele farbige Bilder würden auch in Schwarzweiß funktionieren, da ich mich sehr stark auf das Motiv fokussiere. Passen die Farben noch dazu, wird das Motiv einfach noch stärker und perfekter.

Wie erfolgte die Auswahl für Ihr neues Buch The Flow of the Lines?
Das Eyeshot-Buchprojekt hat Marco Savarese initiiert. Er hat eine fortlaufende Buchkollektion zur Street Photography von bekannten, zeitgenössischen Fotografen in einer limitierten Auflage von 500 Stück pro Buch ins Leben gerufen. Er bat mich zunächst um eine Auswahl von 300 Bildern, die er auf rund 150 Motive für das Buch reduzierte und editierte. Alle Aufnahmen sind in der Zeit zwischen 2002 und 2020 entstanden und interessanterweise gibt es nun aus jedem Jahr ungefähr zehn Bilder im Buch. Diese Konstanz in der Qualität über die Jahre habe ich selbst mit Überraschung, aber auch Genugtuung beobachtet. Inzwischen sind nur noch 45 Bücher der weißen Edition erhältlich, die schwarze Edition ist bereits ausverkauft. Ein schöner Erfolg.

Siegfried Hansen, geboren 1961, begann als Autodidakt. Eine Ausstellung von André Kertész, die er 2002 in Tokio sah, war für ihn der entscheidende Auslöser seine vorherige Fotografie zu verändern. 2015 veröffentlichte er seine erste Monografie Hold the Line, Ende letzten Jahres erschien im Eyeshot Verlag sein neues Buch The Flow of the Lines. Für seinen unverwechselbaren Stil erhielt er zahlreiche Auszeichnungen. Seit 2014 ist er Mitglied des Fotografen-Kollektivs Up Photographers (ehemals In Public). Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Siegfried Hansen auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

Die Ausgabe 3/2021 der LFI enthält ein Portfolio mit Aufnahmen aus Siegfried Hansens jüngstem Buch.

Leica Q

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