Seit über fünfzig Jahren liegt ein fotografischer Fokus von Alfredo Cunha auf seinem Heimatland Portugal. Von März bis Mai 2020 produzierte er – zum Teil mit einer Leica Q und im Auftrag der EU – eine Serie, die die verschiedenen gesellschaftlichen Bereiche des Landes dokumentiert. Jugendliche, Arbeit, soziales Leben, Landschaft und Covid-19. Die Stimmung, die Cunha in seinen intensiven Schwarzweiß-Bildern einfängt, ist düster. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, hat er die Serie Hope genannt.

Vor dem strengen Lockdown war Portugal eines der Länder mit den meisten Covid-19-Fällen in Europa. Wann haben Sie die Bilder gemacht?
Die Aufnahmen sind von März bis Mai 2020 entstanden. Ich habe intensiv in Krankenhäusern, Pflegeheimen, Friedhöfen und während politischer Demonstrationen gearbeitet.

Wie sind Sie auf die Idee zu Ihrer Serie gekommen?
Die Serie Hope entstand nach einer Einladung der EU-Ratspräsidentschaft, die Vergangenheit und Gegenwart Portugals zu porträtieren. Sie dokumentiert besondere, ganz unterschiedliche Aspekte des Landes: Jugend, Arbeit, soziales Leben, Landschaft, aber auch Covid-19.

Ihre intensiven Bilder zeigen Alltagssituationen, sind aber auch von einer dunklen Stimmung durchdrungen. Warum haben Sie die Serie Hope genannt – die Bilder zeugen doch eher vom Gegenteil?
Gerade weil die Bilder so düster sind, heißt die Serie Hope. Wir müssen diese dunklen Zeiten hinter uns lassen. Die Teile der Serie, die sich der Jugend und den Landschaften widmen, sind Bilder der Hoffnung.

Warum haben Sie sich für Schwarzweiß entschieden?
Schwarzweiß war schon immer meine Option beim Fotografieren. Farbe ist wie unnötiger Lärm in meinen Bildern.

War die Fotografie für Sie in jener Zeit eine Art Bedürfnis oder Hilfe oder sogar Unterstützung?
Man hätte auch eine Kunstpause einlegen können, tonnenweise Theoriebücher studieren oder eine andere Sprache lernen können. Ich frage mich das selbst. Ich kann nicht aufhören, Bilder zu machen. Für mich ist die Fotografie eine Notwendigkeit.

Welche Ausrüstung haben Sie verwendet?
Ich habe verschiedene Kameras verwendet, darunter die Leica Q2, Micro-Four-Thirds-Kameras mit Leica Objektiven und andere Kameramodelle, wenn ich sehr lange Brennweiten verwenden wollte. Die Ausrüstung ist heutzutage sehr zuverlässig, darüber bin ich sehr froh.

Was hat Ihnen bei der Arbeit am besten gefallen?
Ich verwende gern Objektive mit festen 28-, 50- und 90-mm-Brennweiten. Ich schätze die Ausrüstung als eine Erweiterung meines Auges, mit hoher mechanischer Stabilität und optischer Qualität.

Welche Reaktionen zeigten die Menschen, als Sie sie fotografiert haben?
In Portugal reagieren die Menschen immer noch wohlwollend auf Fotojournalismus. Manchmal sind die Reaktionen sogar überschwänglich: Einige geben mir ihre E-Mail-Adresse, damit ich ihnen die Fotos zuschicken kann.

Was haben die jüngeren Menschen über ihre Situation und ihre Perspektiven berichtet?
Die jungen Leute haben mir erzählt, dass sie vor der Pandemie nicht viele Möglichkeiten gehabt hätten und jetzt hätten sie gar keine. Sie sind besorgt über die Zukunft. Man muss sich daran erinnern, dass Portugal eines der ärmsten Länder in der Europäischen Union ist.

Wohin entwickelt sich Ihrer Meinung nach die gesellschaftliche Situation in Portugal?
Ich habe 1970 angefangen, in Portugal zu fotografieren. Ich lernte ein Land kennen, das extrem arm war. Heute geht es dem Land viel besser; aber der Unterschied zwischen uns und dem Rest von Europa ist immer noch sehr groß. Ich weiß nicht, ob dieser Unterschied kleiner werden wird; ich mache mir Sorgen über die sehr negative Art und Weise, wie die Länder im Norden Europas ihre Nachbarn im Süden sehen. Sie verstehen die Unterschiede nicht, die zwischen uns bestehen. So wie wir alle Europäer und alle gleich sind, so sind wir auch alle Europäer und alle verschieden voneinander.

Wie beschreiben Sie Ihren fotografischen Ansatz?
Ich habe einen humanistischen Ansatz, beeinflusst von Magnum Photos und den humanistischen Fotografen in Europa in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts.

Was zeichnet ein „perfektes“ Foto in Ihren Augen aus?
Zunächst einmal: Es gibt keine perfekten Fotos. Was für den einen perfekt ist, kann für den anderen schrecklich sein. Ich persönlich bevorzuge Emotionen, Action und Wahrheit.

Bitte vervollständigen Sie den folgenden Satz: Fotografie ist …
… mein Leben.

Was ist Ihr nächstes Projekt?
Meine letzten Projekte sind alle miteinander verbunden. Es sind Projekte über Städte. Letztes Jahr habe ich ein Buch über Amadora veröffentlicht, ein großer Vorort von Lissabon und heute ein eigenes Zentrum. Dieses Jahr arbeite ich an einem Buch über Maia, das in der Nähe von Porto liegt. 2022 werde ich auch ein Buch über Porto veröffentlichen.

Alfredo Cunha wurde 1953 in Celorico da Beira geboren. Er begann seine Karriere als Fotograf 1970 in der Werbe- und Marketingfotografie und arbeitete im folgenden Jahr als Fotojournalist für eine Vielzahl von Zeitungen und Presseagenturen. Er war der offizielle Fotograf der portugiesischen Präsidenten Ramalho Eanes und Mário Soares und wurde mit dem Comenda da Ordem do Infante D. Henrique ausgezeichnet. Besonders hervorzuheben in seiner Karriere ist eine Fotoserie, die sich der Nelkenrevolution vom 25. April 1974 widmet.