Das Reisen liegt der Fotografin im Blut, denn schon mit ihren Eltern ist sie viel gereist. Mit Herz und Seele widmet sie ihre Street Photography den unzähligen Ländern, die sie bereits mit ihren Leicas besucht hat. Mehr poetisch-symbolisch als dokumentarisch sprechen ihre Bilder vom Alltag, von den Freuden und Sorgen der Einheimischen. Im Interview spricht sie über das Reisen, die Wahrnehmung der verschiedenen Länder und warum es manchmal ein Vorteil sein kann, eine Frau zu sein.

Sie sind ein Street Photographer durch und durch. Sie sind viel unterwegs. Wie ist es dazu gekommen?
Ich bin fasziniert von den spontanen und zufälligen Aspekten der Street Photography und den endlosen Möglichkeiten, die das echte Leben bietet, um potenziell großartige Bilder überall, zu jeder Zeit und unter allen Umständen zu erreichen. Es ist einfach, ohne viel Aufhebens, ohne Logistik, ohne Vorbereitung; nur eine Kamera und der Wunsch, zu gehen und sich umzusehen. Es ist für alle zugänglich, und es hat eine universelle Sprache, die von allen verstanden wird. Ein weiterer interessanter Aspekt für mich ist, dass die Street Photography mich dazu bringt, Orte zu erkunden, von denen ich nicht glaube, dass ich sie jemals ohne Kamera aufsuchen würde. Ich lerne ständig neue Menschen kennen. Es ist eine gesunde und neugierige Aktivität, voller unerwarteter Überraschungen.

Sie scheinen ständig zu reisen. Wie ist das in den Zeiten der Pandemie?
2020 bin ich das ganze Jahr zu Hause in Singapur geblieben und arbeitete an meinem neuen Buch Watan. Ich habe das Reisen nicht vermisst, da ich in das Buch vertieft war. Das hat mir geholfen, Lockdowns und Zeiten der Ungewissheit zu überwinden.

Wo überall haben Sie schon fotografiert?
Ich war in Singapur, Brasilien, Uruguay, Ghana, Äthiopien, Frankreich, Belgien, Großbritannien, Italien, Spanien, Mexiko, Bolivien, Argentinien, Paraguay, Venezuela, Chile, Marokko, Israel, Indien, Pakistan, Libanon, Griechenland, Japan, Kuba, Myanmar, China, den USA, der Türkei und auf Kuba unterwegs. Ich liebe es besonders, kleine Dörfer und ländliche Gegenden zu erkunden. In Indien leben immer noch 70 Prozent der Bevölkerung in ländlichen Gebieten. Ich arbeite seit ein paar Jahren auf beiden Seiten der indisch-pakistanischen Grenze an einem Projekt über den Punjab. Von dort stammt mein Mann. Das Projekt ist gerade in Watan erschienen.

Gibt es Länder, zu denen Sie sich mehr hingezogen fühlen als zu anderen? Sie haben gesagt: „Ich bin besonders in die Städte und Dörfer Indiens verliebt.“ Warum?
Ich fühle mich zu jedem Ort hingezogen, an dem ich noch nicht war. Ich finde immer Aspekte, mit denen ich mich an jedem Ort, den ich besuche, verbinden kann. Besonders gerne verbringe ich Zeit in tropischen Ländern, wo das Licht stark ist, die Farben lebendig und die Menschen warmherzig sind. Das bringt starke Erinnerungen an meine frühe Kindheit in Südamerika zurück. Es ist ein schönes Gefühl, kleine glückliche Emotionen aus der Vergangenheit wieder aufleben zu lassen. Da mein Mann aus Indien stammt, reise ich regelmäßig dorthin und habe das Land durch meine Schwiegereltern und indischen Freunde kennengelernt. Das hat mir erlaubt, die Kultur auf einer tieferen und authentischeren Ebene zu erleben. Ich fühle mich in Indien wirklich zu Hause. Allerdings fühle ich mich auch an vielen anderen Orten zu Hause. Aber Indien hat einen besonderen Platz in meinem Herzen.

Welches Land ist Ihnen am wenigsten vertraut und warum?
Als Weltbürgerin kommt mir kein bestimmtes Land in den Sinn, das mir besonders fremd wäre. Jedes Land und jede Kultur besitzen Aspekte, die ich noch nicht kenne, und Aspekte, die mir schon vertraut sind. Diese Mischung reizt mich immer wieder.

Welche Länder würden Sie gerne bereisen?
Ich möchte gern jedes Land auf dem Planeten besuchen! Aber um die Antwort konkreter werden zu lassen: Ich würde gern den Iran besuchen. Es wäre auch schön, mehr in Afrika zu reisen. Ich möchte etwa Angola und Mosambik kennenlernen, da beide Länder portugiesische Kolonien waren. Ich bin mir sicher, dass ich mit vielen Aspekten der Kultur dort etwas anfangen könnte.

Wie kommen Sie mit Menschen in Kontakt?
Ich bin nicht schüchtern und ich neige dazu, ziemlich offen und freundlich gegenüber Menschen und Situationen zu sein. Ich verbinde mich mit Menschen auf einfache Weise, mit einem Lächeln, einem freundlichen Wort, durch Körpersprache. Außerdem wird Kultur im Allgemeinen durch Sprache vermittelt. Ich spreche ein paar Sprachen, was mir auf Reisen hilft, mit Menschen in Kontakt zu kommen. Türen öffnen sich, wenn man die Landessprache sprechen kann, und meiner Meinung nach ist das der beste Weg, um auf der Straße kulturelle Kontakte zu knüpfen. Ich fühle mich in der Nähe von Fremden und an ungewohnten Orten wohl und das hilft mir ebenfalls, Kontakte zu knüpfen. Aber es gibt keine Regel. Jede Situation ist anders.

Ist es als Fotografin einfacher, sich in soziale Strukturen zu integrieren?
Eine Frau zu sein, hat in manchen Situationen einen Vorteil. Als ich zum Beispiel nach Pakistan ging, gab es kleine Dörfer, die nur Frauen betreten durften. Das gab mir die Möglichkeit, in den Häusern der Menschen zu fotografieren und Zeit mit den Frauen vor Ort zu verbringen. Gleichzeitig kann es aber in anderen Situationen dazu führen, dass man als Frau in seiner Freiheit auf der Straße eingeschränkt ist. Ich neige dazu, immer das Positive in allem zu sehen, also konzentriere ich mich eher auf die Vorteile, die ich als weibliche Fotografin habe. Was den fotografischen Stil und die Themenvielfalt angeht, gilt: Je mehr Vielfalt im Feld, desto besser.

Welches Kamerasystem haben Sie verwendet? Was hat Ihnen daran und an den Objektiven gefallen?
Ich benutze eine Leica M10 und eine M9 mit einem Summicron-M 1:2/35 ASPH. Ich schätze an Leicas M-Serie, dass die Kameras komplett manuell eingestellt werden können. Der Messsucher ist für mich die beste und schnellste Art, offen auf der Straße zu fotografieren. Ich liebe auch die Art und Weise, wie die Kameras die Farben wiedergeben. Die Kameras der Leica M-Serie sind klein, sodass man sie auf der Straße leichter ignoriert – was perfekt ist.

Was sollten Betrachter Ihrer Arbeiten daraus mitnehmen?
Ich brächte die Menschen gern zum Träumen!

Graciela Magnoni, 1969 in Montevideo geboren, ist eine autodidaktische Fotografin und hat einen BA in Journalismus (Brasilien) und einen MA in Massenkommunikation von der University of Minnesota (USA). Sie arbeitete mehrere Jahre lang als Fotografin für Istoe, ein Nachrichtenmagazin in Brasilien. Sie lebt in Singapur. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Graciela Magnoni auf ihrer Website und in ihrem Instagram-Kanal.

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