Feiernde Touristen, exklusive Restaurants, grünes Hinterland – die Insel Mallorca hat viele Gesichter. Ein weiteres zeigt der Fotograf Tomeu Coll in seiner Serie Badlands: Orte, geografisch gar nicht weit von den Revieren der Touristen entfernt, aber tatsächlich scheinen Lichtjahre zwischen ihnen zu liegen. Halbverlassene Vororte gezeichnet von Armut und Hoffnungslosigkeit. Dort ist Coll geboren und aufgewachsen – mit Badlands öffnet er nun ein Fernster in diese Parallelwelt.

In Ihrer Serie Badlands dokumentieren Sie Ihr Heimatdorf auf Mallorca. Ist es schwieriger, seine Heimat zu dokumentieren oder einen fremden Ort?
Ich habe es immer für viel komplizierter gehalten, etwas zu fotografieren, das ein Teil von mir selbst ist, ein Ort, ein Zuhause, aber gleichzeitig muss ich Teil dessen sein, was ich fotografiere, sonst ergäbe es für mich keinen Sinn, es zu tun. Ich möchte andere Fotografen dazu ermutigen, ihre Heimat zu dokumentieren. Das ist, zumindest für mich, die einzige Möglichkeit, diese Welt und die Gesellschaft wirklich genau zu verstehen. Es wird auch sensibler, emotionaler und aussagekräftiger sein und nicht von den Erwartungen der Gesellschaft an mich kontaminiert.

Bitte nennen Sie uns einige Fakten über die Situation der Menschen, die in den sogenannten Badlands leben. Wie sieht die Zukunft für sie aus?
Eigentlich hat sich nichts geändert, aber ich lebe nicht mehr dort. Nach dem Erscheinen des Buchs habe ich mich entschlossen, wegzuziehen. Meine Familie lebt immer noch dort und ich besuche sie oft, aber ich brauche etwas Abstand. Was die Zukunft für diesen Ort bringen wird, ist schwer zu sagen, aber ich erwarte nicht, dass sich wirklich etwas ändern wird. Und falls doch: Es wird nicht unbedingt etwas Gutes sein. Wahrscheinlich werden sich einige Gebiete in ein Industriegebiet verwandeln: Der Flughafen und der Tourismus werden nicht aufhören zu wachsen, die Planung für die Insel zielt nur darauf ab, die Besucherzahlen zu erhöhen, anstatt zu versuchen, die Erinnerungen der Bewohner dieses isolierten Landes mitten im Meer zu bewahren.

Wie sind Sie auf die Idee für diese Serie gekommen?
Seit ich angefangen habe, mit einer Kamera zu arbeiten, war das häufigste Motiv die Umgebung meines Dorfs … das war also wahrscheinlich der Anfang, die Wurzel der Serie. Aber erst 2006 beschloss ich, inspiriert von meiner Freundin, Mentorin und Seelenverwandten Donna Ferrato, an Badlands zu arbeiten, so wie es sich heute darstellt. In jener Zeit machte sie eine kleine Geschichte über ihre Straße in New York: Sie fotografierte ihre Nachbarn und alles um sie herum. Ich war in einigen dieser Situationen dabei und habe viel gelernt, indem ich an ihrer Seite war – vor allem darüber, wie man sich bewegt, wie man spricht, wie man sieht und wie man die Realität, von der wir Teil sind, erlebt und schmeckt. Jetzt kann ich sagen, dass es eher ein Geschenk war und ein Lernen darüber, wie man lebt, als darüber, wie man fotografiert, denn die Fotografie ist, wie ich sie verstehe, eine Erweiterung des Lebens.

Ihre Fotos sind sehr emotional. Sind Emotionen wichtig für Sie, wenn Sie fotografieren?
Ich verneinte das gern, aber das wäre nicht realistisch. Emotionen sind alles für mich. Ich erzwinge sie sogar manchmal, denn nur so fühle ich mich mit dem, was ich fotografiere, verbunden. Was ist ein Foto, wenn es keine Emotionen zeigt? Und was ist ein Fotograf, der für das, was er fotografiert oder sieht, nichts empfindet oder empfinden kann? Ich könnte die Fotografie ohne Emotionen nicht wirklich verstehen.

Wird diese Serie jemals ein Ende haben?
Selbst wenn ich beschlösse, den Ort zu verlassen, um aufzuhören, oder so zu tun, als sei die Serie beendet, wüsste ich doch immer, dass es nicht so ist. Ich fotografiere immer noch alles, wenn ich dorthin gehe; ich trage meine Leica immer noch jeden Tag über der Schulter. Ich kann nicht aufhören, alles zu fotografieren, was meine Aufmerksamkeit erregt. Es ist nicht mehr wie früher, als ich manchmal um sechs Uhr morgens aufgestanden bin, um dem Nebel in den Bäumen zu folgen und in unbekannten Ländern nach Antworten zu suchen; aber ich bin immer noch auf der Suche und entdecke neue Geschichten. Ein Jahr vor der Pandemie fing ich an, ein paar 17-Jährige im Dorf zu fotografieren. Heute gehe ich in die Städte, in die sie gezogen sind, um ihr Leben weiter zu dokumentieren. Es wird eine andere Perspektive darauf geben, wie einige Menschen aus den Badlands versucht haben, einen Weg zur Flucht zu finden, und obwohl es ein ganz neues Projekt ist, wird es immer mit Badlands verbunden sein.

Die Fotos sind vor der Corona-Pandemie entstanden. Wie hat Corona die Art und Weise verändert, Ihr Zuhause zu betrachten?
Corona hat meine Sichtweise auf alles verändert. Nach Ausbruch der Pandemie gab es kein Zurück mehr: Ich habe meine Heimat verlassen, aufgehört, in jenem Ort zu leben. Natürlich hat das Buch einen Anteil daran, der ganze Prozess der Entstehung des Buchs hat mir andere Perspektiven eröffnet, wie ich mein Zuhause sehe und wie ich alles um mich herum fotografiert habe.

Welche Ausrüstung haben Sie verwendet?
Ich habe immer noch meine Leica M6, obwohl ich jetzt manchmal eine M7 benutze – und immer mit meinem geliebten Summilux-M 1:1.4/35 – noch so ein Schmuckstück. Ich brauche nicht wirklich etwas anderes, obwohl ich manchmal auch ein 135er benutze. Es gibt viele Dinge, die ich als grundlegend betrachte – das Design, die Qualität, die Mechanik, die Optik. Aber das Wichtigste für mich ist, wie viel man von sich selbst in das Werkzeug, den „Ghostbuster“ – wie ich es wegen der latenten Bilder gern nenne – hineinlegen kann. In manchen Nächten wache ich auf und suche nach der Kamera, als wäre sie eine Verlängerung meines eigenen Körpers.

Tomeu Coll, 1981 auf Mallorca geboren, begann im Alter von 17 Jahren mit der Fotografie und erwarb einen Master-Abschluss in Fotojournalismus an der Universitat Autónoma de Barcelona. Er wurde mit mehreren Fotopreisen ausgezeichnet, darunter zwei Jahre in Folge mit dem Illes Balears Photojournalism Award. Für Badlands hat ihn das Smithsonian Magazine (USA) als „Emerging Photographer“ gewürdigt und er hatte Einzelausstellungen beim Winterfestival von Sarajevo und in der La Nacional Gallery in New York. Er ist für den SternStern, den Spiegel, L’Illustre und andere internationale Publikationen tätig. 2019 erschien Badlands als Buch im Kehrer Verlag. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Tomeu Coll auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.