Geschichte ist eine ihrer Leidenschaften und oft ausschlaggebend für die Wahl ihrer Reiseziele: In Ghana war Andrea Torrei überrascht und überwältigt von dem Unbekannten und lernte gleichzeitig viel über die Schönheit und Stärke der Frauen und Kinder. Ihre emotionale und farbenfrohe Serie erzählt von einem Land, in dem das Leben nicht einfach ist – aber in dem die Menschen noch träumen können.

Was hat den Anstoß für diese Serie gegeben?
Wenn ich in ein für mich neues Land reise, habe ich in der Regel kein bestimmtes Projekt im Kopf, denn ich lasse mich gern überraschen und bin erst einmal überwältigt von dem Unbekannten. So war es auch in Ghana. Das Projekt entwickelte sich von selbst und wurde mir von Tag zu Tag klarer. Ich war sehr daran interessiert, mit eigenen Augen zu sehen, was einst der Ausgangspunkt für eines der tragischsten Ereignisse der Geschichte war: für den transatlantischen Sklavenhandel. Ich besuchte die Forts in Elmina und Cape Coast – die letzte Erinnerung der Sklaven an ihre Heimat, bevor sie über das Meer verschifft wurden und nie mehr zurückkehrten. Außerdem ist Ghana das erste afrikanische Land südlich der Sahara, das sich von der Kolonialherrschaft befreit und die Unabhängigkeit erlangt hat. Man spürt ein tiefes Gefühl für die Nation. Es ist sehr stark. Die Geschichte, eine meiner Leidenschaften, gibt oft den Ausschlag bei der Wahl eines Reiseziels.

Welchen Eindruck haben Sie von dem Land gewonnen und mit welchem fotografischen Ansatz haben Sie ihn festgehalten?
Ich habe ein Land entdeckt, das sehr reich an Kultur und Traditionen ist und sowohl starke islamische als auch europäische Einflüsse aufweist. Das ist etwas, das man erst nach einer Weile bemerkt. Ich habe mit Street Photography begonnen, mit der ich die Schönheit, die sich in den stillen Momenten verbirgt, sehen und sofort festhalten wollte. Mit der Zeit bin ich dann näher an die Menschen herangekommen und habe langsam angefangen, Porträts zu machen. Das war nicht einfach, denn viele Menschen lassen sich nicht gern fotografieren, und es dauerte eine Weile, bis ich ihr Vertrauen gewonnen hatte.

Menschen stehen im Mittelpunkt Ihrer Bilder, wie haben Sie sich ihnen genähert?
Seit ich mich auf das Abenteuer Fotografie eingelassen habe, haben Menschen immer die Hauptrolle in meinen Bildern gespielt. Am Anfang war das noch nicht so bewusst und klar wie heute. Gegenseitige Neugierde ist oft der Schlüssel bei meiner Herangehensweise. Irgendwie treffe ich immer Frauen. In Cape Coast habe ich mich mit einer kleinen islamischen Gemeinschaft angefreundet, die ich während meines zweiwöchigen Aufenthalts oft besuchte. Sie haben mich sofort willkommen geheißen, als ich zufällig den Hof betrat, und danach habe ich jeden Tag viel Zeit mit ihnen verbracht. Vor allem mit den Frauen. Wir kamen sehr schnell ins Gespräch und sprachen viel über unser Leben. Es war schön und interessant, diese Tage mit ihnen zu teilen: Diese Momente sind mir noch immer präsent.

Wie sieht das Leben, der ganz normale Alltag, in Ghana aus?
Es ist ein sehr geschäftiges Alltagsleben! Viele Geräusche und Aktivitäten, überall. Schon morgens um sechs wimmelt es auf den Straßen: Eltern, die ihre Kinder zur Schule bringen, Frauen, die zum Markt gehen, andere machen sich, elegant gekleidet, auf den Weg zur Kirche, Fischer bereiten ihre Netze vor. Für mich als Fotografin war es paradiesisch, in diesen Alltag einzutauchen, der so normal und lebendig ist.

Ihre Bilder sind geprägt von Farbe. Welche Rolle spielt Farbe in Ghana – und in Ihren Fotografien?
Es gibt viele beeindruckende Arbeiten über Ghana in Schwarzweiß, aber für mich bestand die Herausforderung definitiv darin, in Farbe zu arbeiten. Die Farben dort sind so anziehend und ansprechend, aber nicht einfach zu handhaben und schon gar nicht zu ignorieren. Mir wurde einmal gesagt, dass Farbe meine Arbeit sehr persönlich und interessanter mache. Ich weiß nicht, ob das stimmt, aber meine Entscheidung, in Farbe zu arbeiten, hat mit dem Ort zu tun und damit, wie inspirierend er ist.

Sie porträtieren viele Kinder. Welche Bedeutung haben sie für das Land – und für Sie?
Kinder sind offen und neugierig. Sie interagieren mit mir und genießen es. Ich habe mehrere Schulen besucht, sowohl in Cape Coast als auch in Elmina, und die Mädchen und Jungen baten mich immer, Zeit mit ihnen zu verbringen, was ich natürlich gern gemacht habe.

Ihre Serie heißt Goldküste – inspiriert vom Gold, dem wichtigsten Exportgut Ghanas. Ihre Bilder zeigen aber alles andere als ein goldenes Leben … Ist Ihre Serie auch als eine Kritik zu verstehen?
Oder vielleicht gibt es ein goldenes Leben, aber um es zu sehen, müssen wir unsere westliche Perspektive aufgeben. Ich glaube nicht, dass es nur eine Art, nur einen Blickwinkel gibt, das Leben zu betrachten. Ich habe in Ghana Menschen getroffen, die sagen, dass sie mit ihrem Leben sehr zufrieden seien und niemals auswandern würden. Andere sagen, dass auf vielen Ebenen viel getan werden müsse, im Schul- und Gesundheitswesen – die Liste ist lang und dennoch würden sie das Land nie verlassen. Das Leben dort ist nicht einfach, das ist wahr, aber die Menschen haben ihre Träume. Es gibt einen afrikanischen Traum, einen ghanaischen Traum. Für mich war das eine der großen Lektionen des Lebens.

Sie haben mit einer Leica Q fotografiert. Welche Erfahrungen haben Sie gemacht?
Die Leica Q ist sehr robust, leise und unauffällig. Die Bedienung ist sehr intuitiv, die Kamera reagiert sehr schnell, Einstellen und Fokussieren ist sehr einfach. Wirklich erstaunlich. Und das 28er-Objektiv zwang, näher an die LMenscheneute heranzugehen. Das Fotografieren mit der Leica Q war ein großes Vergnügen, ich kann sie nur empfehlen.

Welche Rolle spielt Tradition in Ghana?
Traditionen spielen dort eine große Rolle, wie offenbar in den meisten Teilen Afrikas. In der Küstenregion bilden die Fischerdörfer eng verbundene Gemeinschaften mit eigenen traditionellen Ritualen, Glaubensvorstellungen und familiären Werten. Die Familie ist der Mittelpunkt des Lebens, das Fundament des gesamten gesellschaftlichen Lebens, in dem die Frauen unabhängig und stark sind. Doch in einigen Gebieten ist die Ungleichheit tief verwurzelt. In ländlichen Gebieten sind Mädchen leider nicht nur mit Armut konfrontiert, sondern auch mit einer kulturellen Einstellung, die sie davon abhält, zur Schule zu gehen oder nach der Grundschule in der Schule zu bleiben. Traditionelle Geschlechterrollen stehen dem Zugang von Frauen zur Bildung im Wege. Ich sehe, dass viel getan wurde, um die Kluft zwischen Mädchen und Jungen in puncto Bildung zu schließen, und die Regierung versucht, die Tradition zu brechen, dass Frauen zu Hause bleiben sollen. Es ist noch ein langer Weg zu gehen.

Farben und Licht als Erzählung, als Emotion, als Erweiterung. Die italienische Fotografin Andrea Torrei lebt in Rom. Sie arbeitet sowohl in Schwarzweiß als auch in Farbe, wobei sie sich vor allem mit der Farbe und ihrer großen Rolle beim Hervorrufen von Gefühlen befasst. Von Porträts bis zu Dokumentationen, von Straßenbildern bis zu Landschaften – im Mittelpunkt ihrer Arbeit stehen Menschen in ihrem gewöhnlichen Alltagsleben. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Andrea Torrei auf ihrer Website und in ihrem Instagram-Kanal.

Leica Q

Full Frame. Compact. Uncompromising.