Seit 2015 ist Andy Hall fast täglich mit der Leica Q im Londoner Finanzdistrikt und im Zentrum der britischen Hauptstadt unterwegs. Während der Pandemie entdeckte der Fotograf dort eine ganz neue Seite. Im Interview berichtet er, was ihn am Genre Street Photography reizt, von den Glaspalästen der Londoner City und den Bildern von Alex Webb.

Sie sind für viele Zeitungen und Magazine tätig. Ist die Street Photography jetzt Ihr wichtigstes Betätigungsfeld?
Ich fotografiere für Zeitungen und Zeitschriften vor allem Reportagen über aktuelle Themen. Die Reportagefotografie ist das, was ich am besten kann: Zeit an einem Ort oder in einer Gemeinschaft verbringen, Menschen in ihrem alltäglichen Umfeld einfangen, mich in ihre Welt hineinversetzen, aber gleichzeitig versuchen, die Menschen um mich herum nicht zu beeinflussen oder zu manipulieren.

Was unterscheidet in Ihren Augen die Street Photography von der Reportage? Was ist die größte Herausforderung, wenn Sie auf der Jagd nach Fotos sind?
Ich bin stolz darauf, diskret zu arbeiten, und bemühe mich, unsichtbar zu bleiben. In dieser Hinsicht ist die Reportage der Street Photography am ähnlichsten. Ich bin jedoch ein Purist und der Meinung, dass bei Street Photography im Grunde genommen reine Schnappschüsse im öffentlichen Raum entstehen, ohne dass die aufgenommene Person davon weiß. Die Aufträge, bei denen ich genau das tue, sind für mich am lohnendsten – die Momente, in denen ich in meine Umgebung eintauche, mich mit dem Strom menschlicher Aktivitäten um mich herum auseinandersetze und versuche, diesen einzigartigen, glücklichen Sekundenbruchteil zu erhaschen. Auch wenn ich nicht meine Street-Photography-Projekte verfolge, bekomme ich heute immer mehr Aufträge von Redakteuren, die einen Bezug zur Street Photography haben. Die größte Herausforderung, vor der ich in letzter Zeit stehe, wenn ich mit der Kamera unterwegs bin, ist die, dass immer ein „Offizieller“ dabei zu sein scheint, der meint, es sei seine Aufgabe, mich zu befragen, warum ich mit einer Kamera und nicht mit einem iPhone fotografiere!

Wo sind die Bilder der Serie The Square Mile entstanden?
Die Square Mile ist der Spitzname für das Gebiet im Herzen des Finanzdistrikts der City of London im Zentrum der Hauptstadt und zugleich ihr ältester Teil. Da ich in unmittelbarer Nähe wohne und meine berufliche Laufbahn dort begann, als ich für Wirtschaftsmagazine mit Sitz in der City of London arbeitete, hatte ich schon immer einen Bezug zu dieser Gegend. Ich habe die Aufs und Abs dieses dynamischen Viertels in den letzten 35 Jahren mitverfolgt.

Wie kommt es, dass Sie sich auf das Finanzviertel konzentrieren?
Im Laufe meiner Karriere und Aufträgen überall auf der Welt hatte ich den Finanzdistrikt etwas aus den Augen verloren. Doch nach der Bankenkrise 2008/2009 entflammte mein Interesse wieder und schon bald begann ich, wieder durch die Straßen des berühmten Viertels zu ziehen und zu beobachten, wie es sich in einem spektakulären Bauboom erholte, der immer noch anzuhalten scheint, obwohl alle anderen Teile der Gesellschaft wirtschaftlich leiden. Jetzt fasziniert mich der Mix aus engen Straßen und Gassen neben alten Gebäuden und großen Kreuzungen, die von glänzenden Glasmonumenten des Kapitalismus im 21. Jahrhundert überragt werden. Seit ich 2015 die Leica Q erworben habe, fahre ich die 15 Minuten zur Square Mile, um die Stimmung dort einzufangen. Es ist definitiv ein langfristiges Projekt – während sich die Stadt langsam von der Pandemie erholt, bin ich gespannt, was nach dem Brexit mit der Square Mile passieren wird.

Worauf achten Sie besonders, wenn Sie durch die Straßen gehen?
Ich versuche immer, Bilder zu finden, die auffällig sind – die einen anspringen. Ich denke, ein Foto muss vor allem einen unmittelbaren visuellen Eindruck hinterlassen. Ich finde es toll, dass Street Photography unendlich viele Möglichkeiten bietet, das Alltägliche in etwas Unvergängliches, ja sogar in eine Ikone zu verwandeln. Ich versuche, eine Stimmung einzufangen – sei es die Energie und Spannung einer belebten Szene oder die eher trostlose Stimmung, die isolierte Figuren vor interessant beleuchteten Stadtlandschaften hervorrufen. Wenn ich durch die Straßen streife, suche ich nach eingefrorenen Momenten, die Bewegung und Licht kombinieren, und konzentriere mich dabei auf eine starke Komposition, die das Bild hervorhebt. Ich versuche, wo immer möglich, starkes Licht zu finden und „Schichten“ von Motiven, die ich innerhalb eines Bilds aufbauen kann.

Wie schlägt sich die Leica Q auf diesem Terrain?
Die Leica Q mit dem Summilux-Q 1:1.7/28 ASPH. ist die perfekte Kamera für die Straßenfotografie. Sie ist klein, robust und sehr schnell. Es ist wichtig, eine diskrete, reaktionsschnelle Kamera zu haben, deren Einstellungen und Funktionen in dynamischen, sich ständig ändernden Situationen einfach zu bedienen sind. Ich habe vor, eine Leica Q2 anzuschaffen, nicht zuletzt wegen ihrer tollen Akkulaufzeit.

Ihr Umgang mit Licht und Schatten ist meisterhaft. Es scheint, als hätte Alex Webb einen gewissen Einfluss auf Sie ausgeübt …
Sie haben Recht, Alex Webb hat mich stark beeinflusst. Er ist der absolute Meister. Die grafische Qualität und visuelle Komplexität, die er in seine Bilder einbringt, lassen meinen Atem stocken. Ich bewundere vor allem die Vielschichtigkeit seiner Motive. Die Art und Weise, wie er es schafft, die Motive im Bild bis zu den Rändern zu arrangieren, ist verblüffend. Ich bin immer auf der Suche nach starken Kompositionen und versuche, das Licht so gut wie möglich zu nutzen, um meine Fotos so eindrucksvoll wie möglich zu gestalten; in dieser Hinsicht haben mich die Arbeiten von Alex Webb immer inspiriert. Andere Fotografen, an denen ich mich orientiere, vor allem unter kompositorischen Aspekten, sind Harry Gruyaert, Tomasz Tomaszweski und Graciela Magnoni.

Warum ziehen Sie Farbe Schwarzweiß vor?
Ich ziehe Farbe vor, weil ich das Leben so einfangen möchte, wie es ist. Schwarzweiß ist für mich eine Form der Manipulation: eine Veränderung, die eine eigene visuelle Aussage besitzt. Farbe verleiht einem Foto zudem eine natürliche Nuance, Tiefe und Energie.

Andy Hall, geboren in Johannesburg, ist seit 1988 als Fotograf in London tätig und hat sich auf Nachrichten, Porträts und Reportagen für Stammkunden wie The Observer und The Guardian sowie für Nichtregierungsorganisationen wie das UNHCR spezialisiert. Seine Arbeiten sind in zahlreichen Zeitungen und Zeitschriften erschienen, darunter The Times, The Sunday Times, The Sunday Telegraph, GQ, Red Bulletin, Newsweek, Der Spiegel und Le Monde. Seine Fotografien waren in Ausstellungen zu sehen und wurden in mehreren Fotobuchprojekten veröffentlicht. Halls Arbeit über die Hungerkrise in der Sahelzone wurde 2012 auf dem Fotojournalismus-Festival Visa Pour L’Image gezeigt. 2016 gehörte er zu den Gewinnern des Preises Best of Street Photography. 2019 war er Finalist beim Brussels Street Photography Festival und 2021 bei den Lensculture Street Photography Awards. Weitere Arbeiten von Andy Hall finden Sie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.

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