Seit 2015 hat sich Long Time No See zu einem Multimediaprojekt entwickelt, das nicht nur einen intensiven Einblick in einen Abschnitt der Geschichte bietet, der nie in Vergessenheit geraten wird, sondern auch das Medium Fotografie für neue kollaborative Ansätze öffnet. Im Interview sprechen Andrea Orejarena und Caleb Stein über die Entstehung ihres mehrjährigen Projekts, das mit alten Erzählgewohnheiten bricht und die Grenzen zwischen Träumen und Erinnerungen verwischt.

Wie ist das Projekt entstanden, was hat Sie motiviert, damit zu beginnen?
Im Jahr 2015 lebten wir als Austauschstudenten in Hanoi. Eines Tages organisierte das Programm, an dem wir teilnahmen, einen Besuch in Làng Hữu Nghi. Das ist ein neu errichtetes Dorf für vietnamesische Veteranen und Nachgeborene, die unter den Folgen von Agent Orange, der von den USA während des Kriegs eingesetzten chemischen Munition, leiden. Uns wurde bewusst, dass wir nur eine westlich geprägte Darstellung des Konflikts kannten, die im Wesentlichen die Einmischung und den Imperialismus der USA rechtfertigte. In diesem Moment wussten wir, dass wir mit den vietnamesischen Veteranen und ihren Nachkommen zusammenarbeiten wollten, um eine Gegenerzählung anzubieten. Es gab viele Dinge, von denen wir als Amerikaner keine Ahnung hatten. Als unsere Zeit als Austauschschüler vorüber war, kehrten wir in die USA zurück, machten unseren Abschluss, jobbten ein Jahr lang und flogen Anfang 2018 wieder nach Vietnam, um uns noch unbekannte Geschichten und Sichtweisen über den Krieg kennenzulernen.

Ihr Projekt besteht nicht nur aus Fotos, sondern auch aus Gemälden und Videos. Welcher Gedanke steht dahinter?
Wir sind ohne vorgefasste Meinungen über die Art und Form von Long Time No See an das Projekt herangegangen. Mit der Zeit nahm die Struktur der Zusammenarbeit Gestalt an, als die Teilnehmer Klarheit darüber gewannen, wie sie sich ausdrücken wollten. Viele der auf den Fotos abgebildeten Personen haben Bilder beigesteuert und manchmal auch direkt auf die Fotos gezeichnet. Ihre Zeichnungen erscheinen auch an den Wänden ihrer Zimmer im Hintergrund der Fotografien. In diesem Sinne sind auch die Videos traumähnliche Vignetten, die wir gemeinsam mit vietnamesischen Veteranen gedreht haben und in denen die Grenzen zwischen Erinnerungen, Träumen und Wunscherfüllungen verschwimmen.

Wie beschreiben Sie den Aspekt der Zusammenarbeit bei diesem Projekt?
Auf einer Ebene handelt es sich um eine Arbeit des Künstlerduos Andrea und Caleb. Wir entwickelten gemeinsam das Gesamtkonzept und brachten eine breite Palette von Medien ein, um einen Dialog über die Erinnerung und das Vermächtnis des Vietnamkriegs zu schaffen. Auf einer weiteren Ebene ist diese Arbeit das Ergebnis einer kollektiven Herangehensweise an das Kunstschaffen und enthält Beiträge anderer Künstler. Wir wollen die Arbeiten anderer in diesem Projekt anerkennen und hervorheben. Einige Künstler haben ihren Protagonisten erlaubt, auf ihren Fotografien zu schreiben oder zu zeichnen, aber sie werden nur einer Person zugeschrieben. Trotzdem ist klar, dass es ganze Teams waren, die einzelne Arbeiten geschaffen haben, ohne sie wäre die Kollaboration nicht die gleiche. Wir wollen traditionelle Vorstellungen von Autorenschaft in Frage stellen. Wir wollen die Dinge öffnen, um eine Vielzahl von Stimmen einzubeziehen. Im Wesentlichen ist Long Time No See eine Konstellation, ein Versuch, eine breite Palette von Perspektiven und Stilen einzubringen.

Wie muss man sich die Zusammenarbeit vorstellen?
Wir waren zwei Jahre lang in Làng Hữu Nghi. Ob wir fotografierten, in den Malworkshops arbeiteten oder Videoclips entwickelten – es war immer eine sehr harmonische Zusammenarbeit. Die Mehrheit der Jüngeren in Làng Hữu Nghi ist wegen Agent Orange taub geboren worden. Abends und an den Wochenenden brachten sie uns vietnamesische Gebärdensprache bei. Als wir fließender gebärden konnten, eröffnete sich eine ganz neue Welt der Kommunikation.

Welche Erfahrungen haben Sie mit der Leica M10 gemacht?
Wir haben bisher mit verschiedenen Kameras gearbeitet und fanden es recht schwierig, in der Vielfalt der Tasten und Effekte nicht die Orientierung zu verlieren. Bei der Leica M10 dreht sich alles um das Fotografieren. Die Einfachheit und Eleganz der Kamera machen sie zu einem leistungsstarken Werkzeug, das uns ermöglichte, uns frei zu bewegen und uns auf eine sehr persönliche Weise an der Zusammenarbeit zu beteiligen. Eine weniger kompakte Kamera hätte vielleicht wertvolle Erfahrungen verhindert, weil sie ganz anders wahrgenommen worden wäre. Auf technischer Ebene erstellt die M10 nicht nur Bilder mit einem vollen, schönen Tonwertumfang, sondern auch qualitativ hochwertige Dateien, mit denen sich großformatige Drucke gut umsetzen lassen.

Haben Sie Pläne für vergleichbare Kooperationen?
Wir arbeiten weiterhin mit Phan Thị Lan Hương, Nguyễn Tiến Hưng, Phạm Văn Mạnh und Đinh Thị Hương zusammen, die zur jüngeren Künstlergeneration in Làng Hữu Nghi gehören. Bevor wir Hanoi zu Beginn der Pandemie verließen, überließen wir ihnen eine Digitalkamera. Wir haben uns ihre Arbeit regelmäßig angesehen und sie online betreut. Sie sind sehr talentierte Fotografen geworden und wir haben kürzlich in ihrem Namen einen Antrag auf ein Stipendium gestellt, für das sie unserer Meinung nach sehr gut qualifiziert sind. Der Geist der Zusammenarbeit in diesem Projekt sucht sich im Laufe der Zeit immer wieder neue Ausdrucksformen.

Das Multimedia-Künstlerduo Andrea Orejarena, 1994 in Kolumbien geboren, und Caleb Stein, 1994 in Großbritannien geboren, lebt derzeit in den USA. Ihre international ausgestellten Arbeiten sind über die Vin Gallery in Ho-Chi-Minh-Stadt, den Curator’s Room in Amsterdam und die Rose Gallery in Los Angeles erhältlich. Orejarena und Stein wurden für eine Reihe von Preisen nominiert, darunter den Hariban/Benrido Award und den W. Eugene Smith Grant. Ihre Serie Long Time No See erscheint 2022 bei Jiazazhi Press als Buch. Ihre Arbeiten haben u. a. die New York Times, der Guardian, i-D Vice und Vogue Italia veröffentlicht. Erfahren Sie mehr über die Arbeit des Duos in ihrem Instagram-Kanal und auf ihren Websites (Orejarena / Stein ).

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