In poetischen und intensiven Schwarzweiß-Aufnahmen fängt der italienische Fotograf Stefano Schirato den Alltag der Fischer in Pescara ein. Im Interview erklärt er die Vor- und Nachteile eines Fotoprojekts in der eigenen Stadt und warum es um die Zukunft der Fischergilde in der italienischen Hafenstadt alles andere als rosig bestellt ist.

Was hat Sie inspiriert, das Leben der Fischer in Borgo Sud zu dokumentieren?
Ich unterrichte seit vielen Jahren Reportage und Storytelling an meiner Schule in Pescara und habe mit meinen Schülern die heimischen Fischer und ihre Boote fotografiert. Trotzdem hatte ich nie über die Arbeit dieser Fischer nachgedacht, wahrscheinlich weil es für mich so alltäglich ist. Als Donatella Di Pietrantonio, eine bekannte italienische Schriftstellerin, mit der ich zusammenarbeite, ein Buch mit dem Titel Borgo Sud schrieb, wurde mir klar, dass das der richtige Moment war, um tiefer in diese Realität einzutauchen.

Wie viel Zeit haben Sie mit diesem Projekt verbracht?
Als ich anfing, hatte ich mir nicht vorgenommen, daraus ein langfristiges Projekt zu machen. Aber nun sind es schon fast zwei Jahre her, seit ich die erste Aufnahme fotografiert habe.

Pescara ist Ihr Zuhause. Hatte das einen Einfluss auf den Fortschritt des Projekts?
Mit meiner Heimatstadt als Motiv bin ich frei, zu fotografieren wann immer ich möchte. Das kann aber auch dazu führen, dass man das Projekt vor sich herschiebt. Nach anfänglichen Schwierigkeiten verstand ich, dass eine Reportage vor der Haustür eine großartige Gelegenheit ist, weil man die Möglichkeit hat, wirklich tief einzutauchen, langfristige Beziehungen aufzubauen und ein Teil der Geschichte zu sein, die man erzählt.

Wie beschreiben Sie den Charakter des Stadtteils Borgo Sud im Vergleich zum Rest von Pescara?
Pescara ist eine relativ junge Stadt. Sie hat keinen ausgeprägten historischen Charakter und hat in den letzten Jahren eine zunehmend kommerzielle und touristische Identität gewonnen. Auf der anderen Seite ist Borgo Sud, das Hafenviertel, ein Ort, an dem die Zeit stehen geblieben ist: Die kleinen Häuser bewohnen Menschen, die eine Gemeinschaft mit eigenen Regeln und Gewohnheiten bilden, die auf gegenseitigen Beziehungen und Vertrauen beruhen.

Haben Sie einen bestimmten fotografischen Ansatz verfolgt und wollten Sie eine bestimmte Atmosphäre einfangen?
Es ist immer die Zeit, die ich mit meinen Protagonisten verbringen kann, die meinen fotografischen Ansatz definiert. Ich brauche Zeit, um unsichtbar zu werden, mich unter sie zu mischen, sie zu verstehen. In Borgo Sud habe ich versucht, ein kleines Dorf in der Stadt darzustellen: ein Dorf alter Fischer, die nicht mehr zur See fahren und Netze für ihre Söhne reparieren, von Frauen, die sich um das Haus kümmern und darauf warten, dass ihre Männer vom Fischfang zurückkommen, von einer ungewissen Zukunft und jungen Leuten, die davon träumen wegzuziehen.

Ich sehe eine gewisse Nostalgie in Ihren Bildern, ist das Absicht?
Das Hafenviertel hüllt sich in einen leichten Mantel der Nostalgie, weil es ja in gewisser Weise stirbt. Was man in den Augen derer, die dort leben, wahrnimmt, ist eher ein Blick in die Vergangenheit als in die Zukunft.

Bei Borgo Sud haben Sie mit der Leica Q, der Q2 Monochrom und der SL gearbeitet. Welche Charakteristika haben die drei Kameras für Sie?
Normalerweise arbeite ich mit der Leica Q, weil ich sie bei der Fotografie im Feld für sehr dynamisch und funktional halte. Die Q2 Monochrom war Liebe auf den ersten Blick! So gute Raw-Dateien, mit dieser Tiefe und einem solchen Tonwertumfang, dürften schwerlich zu finden sein. Die SL verwende ich im Allgemeinen für Porträts, da sie für mich eine Kamera für eine langsamere und meditativere Art der Fotografie darstellt.

Sie sagten, dass sich Pescara in den letzten Jahren sehr schnell entwickelt habe. Was glauben sie, wird in ein paar Jahren von den Szenerien, die Sie fotografiert haben, noch vorhanden sein?
Ich denke, Borgo Sud ist zu einem langsamen Sterben bestimmt. Die Söhne der Fischer neigen dazu, in die nahe gelegenen Hügel zu ziehen und dort zu leben. Bald werden nur noch Fischer, die sich zur Ruhe gesetzt haben, übrig sein, da sie sich traditionell stark mit ihrem Viertel verbunden fühlen.

Stefano Schirato, 1974 in Bologna geboren, studierte Politikwissenschaften und war anschließend als freiberuflicher Fotograf mit Schwerpunkt auf sozialen Themen tätig. Er arbeitet mit Zeitschriften, Verbänden und NGOs wie Caritas Internationalis und Emergency zusammen. Seine Arbeiten haben Medien wie die New York Times, Vanity Fair und CNN veröffentlicht. Schirato unterrichtet Fotografie an der Leica Akademie Italien. Erfahren Sie mehr über seine Fotografie auf seiner Website und in seinem Instagram-Kanal.