Als junger Bildjournalist des deutschen Magazins Kristall reiste Thomas Hoepker 1963 für drei Monate durch die USA. Fast 60 Jahre später und nach einer langen, erfolgreichen Fotografen-Karriere machte er sich 2020 noch einmal auf dem Weg. Aufnahmen aus beiden Serien sind jetzt in einem neuen Bildband The Way it was. Road Trips USA und in der aktuellen Ausstellung des Ernst Leitz Museums in Wetzlar zu entdecken.

Längst sind die USA für den renommierten Magnum-Fotografen Thomas Hoepker eine zweite Heimat. Hier hat er mit Unterbrechungen die längste Zeit seines langen Lebens verbracht, heute lebt er auf Long Island, New York. Als junger Fotograf konnte er nach ersten Erfolgen bereits mit 24 erstmals in die USA reisen, damals war er vor allem in Manhattan unterwegs, beeindruckt von der Skyline, der Vitalität und Moderne der Stadt. Drei Jahre später war er wieder in den USA, doch unter veränderten Bedingungen. Denn mittlerweile war Hoepker fest angestellter Bildjournalist beim Magazin Kristall, das vierzehntägig im Hamburger Springer-Verlag erschien, und sein Chefredakteur hatte ihm das unwiderstehliche Angebot für eine umfassende Dokumentation über das Land unterbreitet.

Die lapidare Anfangsfrage an ihn und seinen Textkollegen Rolf Winter lautete einfach: „Hätten Sie Lust, Amerika zu entdecken?“ Noch Jahrzehnte später kann sich Hoepker an diesen Moment genau erinnern: „‚Sicher‘, sagten wir. ‚Aber was genau sollen wir dort machen?‘ – ‚Sie fliegen nach New York, mieten sich einen Wagen, fahren Richtung Westen bis zum Pazifik und nehmen dann eine andere Route zurück. Und unterwegs machen Sie Fotos und schreiben über das, was Sie gesehen haben. Keine Zeitvorgabe.‘ Das knappe Briefing gefiel uns und wir nickten. Das war 1963 und ich war 27.“

Sowohl Winter als auch Hoepker standen den USA nicht uneingeschränkt euphorisch gegenüber, umso mehr wollten sie mehr über das Land und seine Bewohner erfahren. Drei Monate schienen ein guter Start und auch das Budget klang verlockend. Mit einem von General Motors zur Verfügung gestellten Oldsmobile Cutlass fuhren die zwei im Herbst 1963 dann von der Ostküste über Washington, Atlanta, New Orleans, Dallas, Las Vegas, Palm Springs und Los Angeles nach San Francisco und von dort über Reno, Salt Lake City, Birmingham und Detroit zurück nach Boston und legten dabei fast 27.000 Kilometer zurück. Mit seinen zwei Leica MPs mit Schnellaufzug, diversen Objektiven mit Brennweiten von 35, 50, 90 und 135 mm sowie Säcken mit Kodak Tri-X-Filmen hatte der Fotograf am Ende der Reise etwa 4000 Negative belichtet. Das Magazin druckte in fünf Folgen insgesamt 65 Seiten, auf denen sich die ambivalente Haltung der beiden Journalisten zeigte. Begeisterung und Neugier, aber auch Skepsis und kritische Distanz bestimmten den Blick auf das riesige Land.

In einer Zeit, da Transatlantikreisen für die meisten Europäer unerschwinglich waren und die USA als ein Land der Möglichkeiten und Freiheit mit Wolkenkratzern und Highways wahrgenommen wurde, zeigte Hoepker in seinen Aufnahmen auch die Probleme: Armut, Obdachlosigkeit, Rassismus, alltägliche Gewalt und Rechtsradikalismus. Vor allem die Gleichgültigkeit der Amerikaner gegenüber der überall sichtbaren Spaltung der Gesellschaft in arm und reich, aber auch schwarz und weiß, gab ihm zu denken. Von den tödlichen Schüssen auf John F. Kennedy im November 1963 hörten sie in Las Vegas, einem Ort, der offenbar kaum von dieser Nachricht erschüttert wurde: „Als JFK ermordet wurde“, erinnert sich Hoepker, „waren wir gerade dort angekommen. Ich war entsetzt, dass die Leute an den Spieltischen einfach weiterspielten.“ Eine größere Auswahl aus der Reportage erschien erst Jahrzehnte später in Bildbänden, darunter Heartland aus dem Jahr 2013. In der Rückschau wird umso deutlicher, wie seismografisch und komplex Hoepker die Stimmung des Landes in starken Einzelmotiven eingefangen hatte. Viele der Aufnahmen haben nichts von ihrer Wirkung verloren und sind im Werk des Fotografen längst von ikonischer Bedeutung.

2020 schloss sich ein Kreis: Als 84-Jähriger unternahm Hoepker noch einmal einen großen Roadtrip zusammen mit seiner heutigen Ehefrau Christine Kruchen, diesmal im Wohnmobil, begleitet von einem Filmteam. Die Kameratechnik war ebenfalls auf aktuellem Stand: Fotografiert wurde in Farbe mit einer Leica SL2. Mitten in Wahlkampfzeiten zeigte sich auch 2020 ein gespaltenes Land. Doch die Aufnahmen Hoepkers sind andere, sie zeigen weniger die Härte der Lebensrealität, sondern eher die Weite des Landes. Die neuen Motive sind oft menschenleer, konzentrieren sich auf die Verlorenheit innerhalb unendlicher Landschaften. Entstanden ist eine sehr persönliche Auseinandersetzung mit dem Land, das er lieben gelernt hatte –allen Widersprüchen und Herausforderungen zum Trotz. Auch diese Bilder zeigen einen erfahrenen Fotografen und sensiblen Chronisten. In der Zusammenschau der beiden Serien eröffnet sich ein spannender Blick auf das Land, die Zeit, aber auch auf die Entwicklung des Fotografen und die Melancholie des Alters. Mittlerweile sind Hoepkers eigene Erinnerungen fast verschwunden, doch seine Bilder bleiben. Auch als Selbstzeugnisse, denn, wie er einmal feststellte: „Jedes Foto, das man aufnimmt, ist gewissermaßen ein Selbstporträt. Ich bin überzeugt, man kann kein Foto machen, wenn man das Bild nicht bereits in sich selbst trägt.“

Aktuell erscheint im Steidl Verlag der neue Bildband The Way it was. Road Trips USA, der die Aufnahmen von 1963 und 2020 in eine spannende Verbindung bringt. Der Dokumentarfilm Dear Memories – eine Reise mit dem Magnum-Fotografen Thomas Hoepker steht kurz vor der Fertigstellung und kommt demnächst in die Kinos.

Die Ausstellung Thomas Hoepker – Bilderfabrikant. Aus sieben Jahrzehnten: Bilder, die bleiben läuft bis zum 17. Juli 2022 im Ernst Leitz Museum in Wetzlar.

Thomas Hoepker, geboren am 10. Juni 1936 in München. Erste fotografische Versuche mit einer 9×12-Zeca-Plattenkamera. Von 1956 bis 1959 Studium der Kunstgeschichte und Archäologie in Göttingen und München. 1960 Bildreporter bei der Münchner Illustrierten, ab 1962 beim Magazin Kristall, ab 1964 beim Stern. 1978 bis 1981 Executive Editor der amerikanischen Geo-Ausgabe in New York, 1986 bis 1989 Artdirector in der Stern-Chefredaktion in Hamburg. Seit 1989 Mitglied der Agentur Magnum Photos, 1992 bis 1995 deren Vizepräsident, 2003 bis 2007 Präsident. Zahlreiche Bildbände, Ausstellungen. Viele Auszeichnungen und Ehrungen, unter anderem 1968 der Kulturpreis der Deutschen Gesellschaft für Photographie (DGPh), 1977 das Bundesverdienstkreuz und 2014 die Berufung in die Leica Hall of Fame. Erfahren Sie mehr über die Arbeiten von Thomas Hoepker auf magnumphotos.com.

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