Keine Heimat in Sicht? Sie sind vor Krieg und Verfolgung geflohen, doch auch in ihrer neuen Heimat Jordanien finden sie keine Ruhe: Für viele Flüchtlinge macht ihr ungeklärter Aufenthaltsstatus das neue Leben in Jordanien zum täglichen Kampf. Aus Angst vor Verfolgung durch die Geheimdienste scheuen sie die amtliche Registrierung beim UN-Flüchtlingskommissariat UNHCR – und viele werden gar nicht erst offiziell als Flüchtlinge anerkannt. So beginnt für sie eine Zeit des Wartens, in der es weder voran- noch zurückgeht. Magnum-Fotograf Moises Saman erzählt ihre Geschichte.

Warum wollten Sie genau diese Geschichte in Jordanien erzählen?
Ich zog Anfang 2020 nach Jordanien und begann während der ersten Abriegelungen aufgrund von Covid-19 ein Projekt, das sich mit den Auswirkungen der Pandemie auf das Leben der großen Flüchtlingsbevölkerung in diesem Land befasste. Während der Arbeit an diesem Projekt erfuhr ich, dass die sudanesische Flüchtlingsgemeinschaft aufgrund ihres ungeklärten rechtlichen Flüchtlingsstatus eine der am stärksten marginalisierten Gruppen in Jordanien ist. Andere Gemeinschaften, die ebenfalls aufgrund ihres rechtlichen Flüchtlingsstatus ausgegrenzt werden, stammen aus dem Irak, aus Somalia und dem Jemen.

Wir haben in den letzten Jahren so viele Flüchtlingsgeschichten gesehen – sind die Menschen inzwischen abgestumpft, und, falls ja, wie können wir das umgehen?
Ich hoffe es nicht, aber es gibt eine Tendenz, das Leben von Flüchtlingen nur aus der Opferperspektive zu betrachten, und man kann durch die ständige Wiederholung leicht abstumpfen. Ich denke, die Herausforderung besteht darin, Wege zu finden, um von dieser Viktimisierung wegzukommen und vielleicht die Erzählung auf die Widerstandsfähigkeit und die unglaublichen alltäglichen Heldentaten zu verlagern, die ebenfalls Bestandteil vieler Flüchtlingserfahrungen sind.

Können Sie uns ein wenig über die Lage der Menschen erzählen? Was macht sie besonders schwierig?
Da sie aufgrund ihres nicht anerkannten Flüchtlingsstatus keine staatliche Unterstützung erhalten, haben die meisten Familien ernsthafte Probleme beim Zugang zu angemessener medizinischer Versorgung, Bildung und Wohnraum und viele wissen nicht, was am nächsten Tag essen sollen. Allgemein hat sich ihre Lage durch die Pandemie und deren wirtschaftliche Folgen verschlechtert.

War es schwierig, mit den Menschen in Kontakt zu kommen?
Ja, es handelt sich um Gemeinschaften, die im Schatten der Stadt leben und Angst haben, verhaftet und abgeschoben zu werden. Aber ich habe eng mit einer lokalen Nichtregierungsorganisation kooperiert, dem Collateral Repair Project, das mit den am meisten gefährdeten Flüchtlingsgemeinschaften in Jordanien arbeitet. Obwohl die meisten bereit waren, von mir fotografiert zu werden, baten sie mich darum, ihre Namen nicht zu veröffentlichen, um Auswirkungen auf ihre Asylanträge zu vermeiden.

Was motiviert Sie bei der Arbeit an Geschichten wie dieser?
Mich motiviert der Wunsch, bodenständig zu bleiben und mit der Realität um mich herum verbunden zu sein, mit der ich mich sonst aufgrund meiner eigenen Privilegien nicht auseinandersetzen würde. Diese Motivation ist größer geworden, seit ich Vater geworden bin, und ich denke oft darüber nach, wie ich meiner kleinen Tochter diese Sensibilität beibringen kann.

Insgesamt wirken die Bilder, die mit der neuen Leica M11 entstanden sind, ein wenig dunkler. Liegt das an der Kamera oder an Ihnen?
Ich hatte schon immer eine Neigung zur Unterbelichtung und die enorme Empfindlichkeit der Leica M11 hat es mir ermöglicht, noch weiter herunterzugehen – dorthin, wo manchmal nur der Hauch eines Spitzlichts im Fokus des Bildes steht.

Die meisten Ihrer Aufnahmen sind mit einer Auflösung von 36 Megapixeln entstanden. Brauchen Sie die maximale 60-Megapixel-Auflösung des M11-Sensors überhaupt?
Man weiß es nie! Für mich war es bei dieser Arbeit wichtig, weiter fotografieren zu können, ohne die Speicherkarte zu oft wechseln zu müssen. Auch die neue Bedienoberfläche fühlt sich einfach und organisch an, das ist eine sehr willkommene Verbesserung.

Ihre Innenaufnahmen mit der M11 werden bei ISO 800 oder ISO 1600 gemacht. Wie zufrieden sind Sie mit der Lichtempfindlichkeit der M11?
Sehr! In bestimmten Situationen mag ich auch die Körnung, die durch das Fotografieren mit hohen ISO-Werten entsteht.

Wie sieht es mit dem Dynamikumfang aus?
Ich bin kein sehr technisch orientierter Fotograf, ich mache tatsächlich viele Belichtungsfehler. Daher war ich positiv überrascht, dass der Dynamikbereich der M11 eine Korrektur nach der Aufnahme zulässt.

Sie haben vor allem mit dem Summilux 1:1.4/35 und 50 fotografiert. Was schätzen Sie an diesen Objektiven?
Ich mag die Möglichkeit, aus nächster Nähe und bei sehr wenig Licht zu arbeiten.

Werden Sie weiterhin in Jordanien arbeiten?
Auf jeden Fall. Es handelt sich um ein laufendes Projekt, das ich zwischen meinen Reisen und der Zeit mit meiner Familie fortsetzen möchte.

Moises Saman, 1974 in Lima geboren, verbrachte seine Jugend in Barcelona. Studium der Kommunikationswissenschaften und Soziologie an der California State University. Nach dem Abschluss wandte er sich der Fotografie zu und ist seit 2014 Mitglied der Agentur Magnum Photos. Saman ist Gewinner zahlreicher Preise, u. a. beim World Press Photo. 2015 erhielt er ein Guggenheim Fellowship für seine Arbeit über den Arabischen Frühling. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Moises Saman auf der Website von Magnum Photos und in seinem Instagram-Kanal.

Ein ausführlicheres Interview mit Moises Saman finden Sie in der LFI 3/2022.

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