Längst zählt Nomi Baumgartl zu den renommiertesten und vielseitigsten Fotografinnen in Deutschland. Sie ist eine sensible Beobachterin und große Porträtistin, die sich in ihrer Arbeit vor allem dem fragilen Zusammenspiel zwischen Mensch und Natur widmet. Auch in den in der Leica Galerie Wetzlar präsentierten Serien geht es um die Verantwortung für die Zukunft, um die Auswirkungen der heutigen Lebensweise auf nachfolgende Generationen. Im Interview gibt die Fotografin Einblicke in ihre Arbeiten und berichtet von ihrer Motivation und den Ambitionen für ihre Arbeit.

Im Zentrum der Präsentation in Wetzlar steht Ihr andauerndes Projekt EagleWings, das das Bayerische Umweltministerium bereits mit dem „Grünen Engel“ für besonderes Umwelt-Engagement ausgezeichnet hat. Worum geht es dort und gab es einen Auslöser für die Arbeit?
Ja, der Auslöser waren die tiefgreifenden Erfahrungen mit dem vorhergehenden Projekt in der Arktis. Mit Stella Polaris*Ulloriarsuaq ist ein internationales Fotokunst- und Filmprojekt entstanden, um ein Bewusstsein für die globalen Zusammenhänge des Klimawandels und für die Zerbrechlichkeit dieser Eiswelt zu schaffen. Insbesondere nach der Weltpremiere 2014 in der Leica Galerie Los Angeles, einer Stadt, die unglaublich viel Energie benötigt, wurde mir klar, wie viel Pionierarbeit es noch braucht, um die Menschen zu erreichen. Ich suchte einen Perspektivwechsel und seitdem ich an einem Ort leben darf, in dem die Alpen vor der Haustür beginnen, lag es nahe, dort weiter zu arbeiten. Die Alpen sind das wilde Herz und das Wasserschloss Europas. Die im Turbotempo verschwindenden Gletscher in den Alpen sind das Fieberthermometer unserer Erde.

Die Arbeit am Projekt EagleWings ist sehr komplex …
… ja, es hat drei Ebenen. Mein Auge steht für Fotokunst und ich vertrete mit meinem begrenzten Menschenauge diese Ebene. Dort arbeite ich mit der Leica SL und der Leica SL2. Auf der zweiten Ebene steht ein Adler für die Natur und die großen Emotionen. Er ist ausgestattet mit einer 360-Grad-Kamera. Auf der dritten Ebene arbeite ich mit dem Zentrum der Deutschen Luft-und Raumfahrt, der European Space Agency und dem Virtuellen Alpen Observatorium VAO zusammen, die den wissenschaftlichen Background liefern. Sie sind das große Auge, das aus dem Weltall auf die Alpen blickt.

Das klingt nach einem enormen Kraftakt.
In der Tat. Und das in vielerlei Hinsicht. Die hohen Expeditions- und Herstellungskosten finanziere ich überwiegend aus Eigenleistung. Mit den Erlösen aus meiner streng limitierten Fotokunst refinanziere ich die Ausgaben, um so wieder neue Expeditionen durchzuführen. Daraus erschaffe ich wieder neue Motive – und somit neue Werte. Ein nachhaltiger Kreislauf. Jedes der in Wetzlar ausgestellten Motive ist natürlich käuflich. Und jeder Käufer meiner Bilder hat die Gewissheit, nicht nur außergewöhnliche und streng limitierte Fotokunst zu erwerben, sondern auch einen großen Beitrag zum Erhalt der alpinen Lebensräume zu leisten.

Meine Projekte sind immer größer als ich! Um eine Vision wie diese zu visualisieren, braucht es ein großes Netzwerk und gutes Teamwork, damit die Mission die Menschen erreicht. Und jedes Projekt ist nur so gut wie der Spirit, der im Team entsteht. Ein weiterer Traum geht gerade in Erfüllung, die Eagle Wings Foundation ist in der Gründung.

Eine zweite Werkgruppe in Ihrer Ausstellung in der Leica Galerie Wetzlar heißt Yin & Yang. Was verbirgt sich dahinter?
Yin & Yang ist ein größerer Zyklus, der auch Motive aus den Projekten Dolphin Aid und Elephant Man enthält.

Dolphin Aid steht in enger Beziehung zu Ihrem damaligen Unfall und dem daraus resultierenden Gedächtnisverlust. Wie gehen Sie heute mit dieser Erfahrung um und welche Rolle hat die Fotografie bei der Bewältigung gespielt?
Ja, das hat wirklich viel in meinem Leben verändert und führte bis hin zu einer Identitätskrise. Aber das ließ sich alles gut therapieren. Neben der Erfahrung, die mich schon sehr gefordert hat, gibt es aber auch einen positiven Aspekt, der natürlich auch mit einer Bewusstseinsveränderung einhergeht. Wenn eine Festplatte gelöscht wird, gibt es auf einmal viel Platz für Neues. Die Fotografie hat eine große Rolle gespielt, ich habe die Welt neu entdeckt, es war und ist immer noch ein großes Abenteuer. Die Betrachtung nach vielen Jahren hat einen besonderen Aspekt: Ich bezeichne mich ja gern als analoges Fossil und die Technik zu der Zeit hat natürlich die analoge Qualität, die heute in der Fotokunstwelt auch immer mehr an Wert gewinnt. Damals arbeitete ich vorwiegend mit Leica R6- und R7- Kameras.

Das ebenfalls in Wetzlar präsentierte Portfolio Andreas Feininger ist das Ergebnis einer längeren Freundschaft mit dem Fotografen. Die Aufnahmen entstanden alle vor Ihrem Unfall. Haben Ihnen die Bilder geholfen, Erinnerungen zurückzuholen? Ja, die Bilder haben geholfen, bei mir spielt das emotionale Gedächtnis eine große Rolle. Die jüngste Zeit, also die zurückliegenden zehn Jahre vor dem Unfall im Jahr 1996 habe ich sehr gut mit viel Unterstützung rekonstruieren können. Was die Freundschaft mit Andreas Feininger betrifft, hat er mir ein Credo mit auf den Weg gegeben, das uns tief verbunden hat und das auch heute noch für meine Arbeit steht: „Wir sind alle ein integraler Teil der Natur, ein Teil des Universums.“

Woher rührt die Energie, mit der Sie sich immer wieder neuen Herausforderungen stellen?
Aus der Natur, aus meiner Passion und Vision und natürlich immer wieder aus der Hommage an die Schöpfung, einer Liebeserklärung an unseren Planeten, und aus meinem Engagement als Fotografin, das fragile Gleichgewicht zwischen Mensch und Natur sichtbar zu machen. In all meinen Projekten gab es Guides, von denen ich mich führen ließ: Im Delfin-Projekt waren es die Delfine und Wale, die größte Spezies in den Weltmeeren; im Projekt Elephant Man war es der Elefant, die größte Kreatur auf der Erde. Bei Stella Polaris

der Nordstern, der für Orientierung in der nördlichen Hemisphäre steht, und beim EagleWings-Projekt der Adler, der König der Lüfte und der Berge. Das ist also in meinem zweiten, wiedergeschenkten Leben meine kleine Evolution durch die Elemente: Ich habe im Meer angefangen, durfte mit den Delfinen und Walen arbeiten, dann kam die Erde und ich habe mit einem Elefanten gearbeitet. Danach habe ich mich von einem Stern führen lassen und jetzt von einem Adler. Das sind die guten Spirits auf meiner langen Reise.

Nomi Baumgartl, 1950 in Donau-Ries geboren, studierte von 1973 bis 1977 an der Gesamthochschule Düsseldorf Design und Visuelle Kommunikation. Als erfolgreiche Bildjournalistin publizierte sie in der Folgezeit in allen wichtigen deutschen und internationalen Magazinen. Neben Auftragsarbeiten begann sie früh, sich selbst gewählten Langzeitprojekten zu widmen. Das Werk der Leica Fotografin ist in zahlreichen Ausstellungen und Buchveröffentlichungen präsent. Im Juni 2016 wurde sie für ihr Lebenswerk mit dem internationalen B.A.U.M. Environmental Special Award ausgezeichnet. Die Laudatio hielt Dr. Auma Obama, Schwester des früheren US-Präsidenten, mit der sie eine lebendige Freundschaft verbindet. Die Fotografin, die lange in New York und München lebte, hat heute ihren Lebensmittelpunkt in Murnau, Bayern. Erfahren Sie mehr über die Fotografie von Nomi Baumgartl auf ihrer Website.

Leica SL2

Es ist Ihre Entscheidung.

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